Samstag, 22. Januar 2011

Urlaub 2007

Vergleich zu den Vergangenen verlief unser Urlaub heuer ungewöhnlich friedlich und dies obgleich die verbale Durchschlagskraft meiner besseren (zumindest seiner Meinung nach) Hälfte mit den Jahren in keiner Weise an „Biss“ verloren hatte, genaugenommen scheint mir der Kerl mit der Zeit immer bissiger zu werden. Das Vorspiel begann schon vor einigen Monaten als ich ihn löcherte, er müsse einen neuen Reisepass beantragen, da der alte in Kürze ablaufen wird. Er empfahl mir, mich um meine eigenen Sachen zu kümmern, wobei sein authentischer Kommentar zur Sache kaum widergabetaugliche Worte enthielt und öffentlich-rechtlich eher als eine Reihe von „pieps“ reproduzierbar wäre.

Als wir letztes Jahr den Sechziger feierten, luden wir zu der gemeinsamen Feier auch meinen gleichaltrigen Exgatten Yves ein, selbstverständlich samt seiner bereits seit langem bestehenden Gattin Nicole. Ich und Yves sind im vergangenen Jahrhundert etliche Jahre Brieffreunde gewesen, in weiterer Folge waren wir nur kurz verheiratet und während dieser Zeit langweilten und nervten wir einander. Nach erfolgter Scheidung wurden wir wieder gute Freunde. Kurz bevor wir unseren gemeinsamen „180ziger“ feierten, ging Yves in die Rente und somit konnten sich die beiden endlich ihren Lebenstraum erfüllten.

Sie verkauften ihr hübsch renoviertes Bauernhäuschen bei Chartres, lösten ihre Gemeindewohnung in Paris auf und übersiedelten ins südfranzösische Montady. Und sie bestanden darauf, dass wir sie ebendort zu besuchen. Wir planten unseren Besuch für heuer ein, für die letzte Septemberwoche. Sohn Martin spendierte uns als Weihnachtsgeschenk die Flugtickets nach Barcelona (und retour!), Sohn Philip buchte für uns das Mietauto, mit dem wir von Barcelona nach Südfrankreich (und retour!) reisen wollten. Ein tschechisches Sprichwort sagt, dass „der Fisch und der Gast nach dem dritten Tag stinken“, also wollte ich es tunlichst vermeiden unseren Freunden eine geschlagene Woche am Genick zu picken und schlug vor, die ersten zwei-drei Tage in Barcelona zu verbringen. Zu unserer Überraschung war nicht nur unser Hotel (von dem wir das letzte Mal hell begeistert waren) restlos ausgebucht, sondern sämtliche Hotels Barcelonas und dies schon zwei Monate im Voraus.

Just in der letzten Septemberwoche fand dort entweder eine Messe oder ein Kongress statt, so genau weiß ich es nicht da die Dame an der Rezeption genauso miserabel französisch sprach wie ich englisch. Daraufhin konsultierte ich das Internet. Von Barcelona bis Montady ist es „nur ein Katzensprung“, nicht einmal 300 Km. Auf der Landkarte entdeckte ich – fast auf der Strecke - Andorra. Nun ja, ein Abstecher von rund 100 km. Dieser Zwergstaat hat mich schon in meiner Kindheit fasziniert als ich hörte, dass die Bewohner dieses armen Landes vorwiegend vom Schmuggel lebten.

Die Vorstellung eines samt und sonders vermummten Volkes, dass auf den Zehenspitzen leise über die Pyrenäen schleicht, in jeder Hand eine altertümliche Pistole, mit verschlissenem Sack voll Schmuggelgut (was immer es auch sein mag) am Buckel, sich nur flüsternd hinter vorgehaltener Hand bzw. mit Geheimzeichen verständigt und stets verstohlen um sich blickt ... fand ich ungeheuer romantisch. Natürlich weiß ich längst, dass Armut nichts Romantisches an sich hat und Andorra, gottlob, bereits seit geraumer Zeit kein armes Land mehr ist. Doch allein an dem Klang von „Andorra“ pickte immer noch ein Hauch der Magie aus meiner Kindheit.

Im Internet fanden wir auf Anhieb ein günstiges Dreisternehotel, ein Doppelzimmer mit Frühstücksbuffet um 65 Euro und buchten übermütig zwei Nächte. Erst hinterher fragte mich mein Mann, was dort eigentlich zu besichtigen wäre. Also stieg ich erneut ins Internet und las zu meiner Verblüffung Folgendes: „Empfohlene Sehenswürdigkeiten (4): 1) Coll Arenys, Art der Attraktion: Berg, 2) Pic de l’Estanyo, Art der Attraktion: See, 3) Casa della Calle, Art der Attraktion: Regierungsgebäude, 4) Vall del Riu, Art der Attraktion: Tal.“ Na bumm! Bei der Größe des Fürstentums schätzte ich, dass man das volle Programm absolvieren könnte indem man sich einmal um die eigene Achse dreht. Hinterher kam ich allerdings drauf, dass ich Depp mich verschaut habe und statt dem Fürstentum Andorra nur dessen Hauptstadt, die Andorra La Vella heißt, angeklickt habe und auch diese mehr zu bieten hat, als auf der Homepage so lakonisch avisiert wurde.

Die Homepage handelte zwar die Sehenswürdigkeiten knapp ab, pries aber endlos das Fürstentum als wahres Einkaufs- und Touristenparadies an, was nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken sei, dass dort praktisch keine Steuern erhoben werden. Doch am ausführlichsten waren die „nützlichen und interessanten Insider-Informationen über alle Lebensbereiche“, gerichtet an potentielle Einwanderer um die Andorra auf ihrer Homepage so wortreich buhlt. Ich hätte mich beinahe überreden lassen, hätte ich nicht eine winzige Anmerkung gelesen, nämlich dass man die dortige Staatsbürgerschaft erst nach 25 Jahren Aufenthalt erwerben kann.

Bei meiner Lebenserwartung, die ich optimistisch besonders hoch einschätze, würde ich trotz meines Alters (das sich neuerdings in der großzügigen Verwendung von Anti- bzw. pro Age Kosmetik niederschlägt) zwar diese lange Wartezeit wegstecken, doch ein viertel Jahrhundert später werde ich mit dieser Extravaganz kaum mehr prahlen können. Ich nehme zwar an, dass meine Altersgenossen immer noch da sein werden, jedoch ein Teil davon wird zweifelsohne mit diversen Geriatrieworkshops und allerhand angesagten fernöstlichen Gesundheitsprogrammen total ausgebucht bzw. gestresst sein während sich der andere Teil, die ums Verrecken Jungbleibenwollenden, als fiktive knackige Twens in einer virtuellen Welt des Second Life tummeln wird.

Und die Jugend ist heutzutage ohnehin kaum zu beeindrucken. Andorra ist einer der Zwergstaaten Europas, hier Interessens halber eine kleine Übersicht:

Der Staat Vatikanstadt ist der wiedererstandene Rest des ehemaligen Kirchenstaates, diese absolute Monarchie wurde 1929 durch Lateralverträge zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Italien gegründet, der Chef ist – no naa – der Papst (0,44 km², 932 Einwohner, davon 552 Staatsbürger, Amtsprachen Latein, italienisch und deutsch).

Das Fürstentum Andorra ist ein feudales Überbleibsel, seit dem Jahr 1278 unabhängig und wird von Bischof von Urgell (Spanien) und dem jeweils amtierenden französischen Staatspräsidenten (in ihrer Funktion als Co-Fürsten) gemeinsam verwaltet. (468 km², 73.000 Einwohner, Amtsprache katalanisch)

Fürstentum Liechtenstein ist eine konstitutionelle Erbmonarchie (160,48 km², 34.905 Einwohner, Amtssprache deutsch bzw. das, was man dort fälschlicher Weise für Deutsch hält)

Republik San Marino ist die älteste Republik der Welt mit einer Geschichte, die bis auf das Jahr 301 zurückgeht, die Chefs (capitani reggenti) sind der Staatsoberhaupt und der Regierungschef (60,57 km², 30.308 Einwohner, Amtsprache italienisch)

Fürstentum Monaco ist wieder ein Stadtstaat mit konstitutioneller Erbmonarchie (1,97 km², 32.000 Einwohner, Amtsprache französisch)
Republik Malta ist ein Inselstaat, seit 1964 vom Vereinigten Königreich unabhängig, der Boss ist der Staatspräsident (316 km², 405.577 Einwohner, Amtssprache maltesisch, englisch)

Als letzten Zwerg Europas führt Wikipedia die Kanalinseln Guernsey, Jersey und Isle of Man an, die zwar weder ein Teil des Vereinigten Königreiches noch eine britische Kolonie jedoch zur Gänze im Besitz der Britischen Krone sind.

Die Färöer Inseln mit ihrer Fläche von 1.395,74 km² und 48.451 Einwohnern gelten nicht als Zwergstaat, da sie eine „gleichberechtigte Nation innerhalb des Königreiches Dänemark“ (wie auch Grönland) und daher nur halbautonom sind. Der Boss ist hier die dänische Königin. Immerhin können sie sich mit einem der ältesten Parlamente der Welt brüsten.

Eine andere Quelle bezeichnet auch das Großherzogtum Luxemburg als Zwergstaat, doch dieses Land kann da mit seinen 2.586 km² und 474.413 Einwohnern bestenfalls als Riesenzwerg (oder Zwergriese?) mithalten - auch wenn es, gleich nach Malta, das zweitkleinste Mitglied der EU ist.

Eine Woche vor der Abfahrt stellte mein Mann fest, dass mit dem Ansuchen um den neuen Reisepass das alte Dokument abzugeben sei, das Neue innerhalb von 5 Tagen zugestellt wird, diesmal allerdings mit Vorbehalt, da die Staatsdruckerei just jetzt zwei Tage „blau“ macht. Zwei Monate lang wollte er sich „rechtzeitig kümmern“ um sich dann im letzten Moment zu entscheiden, dass er dies gar nicht muss, da man in der EU sowieso mit einem abgelaufenen Pass oder einem Führerschein herumreisen darf. Etwa einen Monat zuvor machte ich ihn darauf aufmerksam, dass Andorra nicht in der EU ist, folglich ein gültiger Reisepass sehr wohl benötigt wird.

Jetzt meinte er, ich solle keinen Unsinn reden, Andorra muss schon aufgrund der geographischen Lage als Enklave zwischen Spanien und Frankreich automatisch in der EU sein. Ich zeigte ihm Schwarz auf Weiß, dass man genau dies nicht muss und auch nicht ist. Es folgte prompt seine Meinung über die Idioten in Andorra, ihre unsinnigen Gründe, das österreichische Passamt, die Staatsdruckerei und zur Sicherheit schloss er in seine flammende Rede auch mich ein. Ausführlich, niederschmetternd und vor allem sehr laut. Ich hatte weder Lust noch Chance klarzustellen, dass dieser Zwergstaat offensichtlich vom Tourismus der einkaufswilligen Nachbarn lebt, wobei man die Preise eben durch den Wegfall von Steuern attraktiv gestalten kann. Im Falle eines Beitritts hätte Andorra die Steuern einführen bzw. der Europäischen Union anpassen und somit auf die Haupteinnahmen verzichten müssen. Also nahm ich gelassen zur Kenntnis, dass nicht nur ich dämlich bin, sondern ganz Andorra, die österreichischen Behörden sowie auch gleich der Rest der Welt. Die logische Schlussfolgerung dieser (wenn auch einseitigen) Unterhaltung war, dass es auf der ganzen weiten Welt nur einen einzigen wirklich intelligenten Menschen gibt – und das ist ausgerechnet mein Mann. Und darauf bin ich natürlich mächtig stolz!

Der Reisepass wurde dennoch rechtzeitig ausgestellt, unser Schwiegersohn Chris brachte uns in aller Herrgottsfrühe zum Flughafen und Sohn Philip lotste vom Turm aus unseren Flieger fachmännisch in die Lüfte. Die Reise verlief angenehm, das Flugzeug war nicht vollgestopft und so hatten wir ausreichend Platz um etwaige Kollision unserer Breitseiten zu vermeiden. Auf dem Flughafen in Barcelona fanden wir mehr oder weniger problemlos das Mietauto und machten uns auf den Weg nach Andorra, wo wir nach einem relativ kurzen Herumkreisen unser Hotel erreichten. Ich hatte zwar eine detaillierte Wegbeschreibung aus dem Internet, der Haken an der Sache war, dass man die angegebenen Anhaltspunkte erst dann sehen konnte als man bereits vorbeigefahren war. Andorra la Vella ist regelrecht eingezwickt zwischen den Bergen (mein Mann schätzte die Breite der Talsohle auf kaum 300 m), die Straßen dementsprechend eng, meist Einbahnen und so findet man kaum Wendemöglichkeiten. Zum Glück mussten wir doch nicht erst nach Spanien oder Frankreich wieder ausreisen um dort wenden zu können wie ich vorerst befürchtete.

Das Hotel selbst war sehr angenehm und das Frühstücksbuffet ließ keine Wünsche offen, sogar der Frühstückskaffee war ein waschechter Kaffee und nicht die übliche Allerwelt-Frühstücksbrühe. Schon der erste Augenschein ergab, dass Andorras Homepage mit der Wahrheit äußerst freizügig umgeht. Die Preise sind alles andere als günstig, meist höher als in Österreich, zum Teil sogar ziemlich hoch. Das einzige Highlight sind die spottbilligen Zigaretten (aus heimischer Erzeugung). Ich kaufte mir keine, da es keine „king size“ gab. Genaugenommen kaufte ich so gut wie gar nichts - obwohl ich mich bereits vor der Abreise, fehlgeleitet durch die verlogene Homepage, auf einen richtigen Kaufrausch eingestellt und mich auch schon tierisch darauf gefreut hatte. Nicht nur, dass das Preisniveau nicht gerade kundenfreundlich ist, auch die Ladenöffnungszeiten sind zu viel knapp um, mit einem unverbesserlichen Optimismus allerdings, eventuellen Schnäppchen nachzujagen. Das vermeintliche Einkaufsparadies öffnet seine Türe und Tore von 10:30 bis 12:00 Uhr und dann erst wieder von 15:00 bis 19:00 Uhr.

Also hatschten wir im Kreis durch die malerische Hauptstadt, beäugten die stolzen Preise und die nicht minder stolzen Berge. Meinen Mann faszinierten die rundherum steil in den Himmel ragenden Bergwände, in die man Terrassen für den Häuserbau regelrecht eingefräst hatte wobei der ausgebrochene Stein gleich als Baumaterial verwendet wurde. Es war beeindruckend und irgendwie auch beängstigend. Ich habe gelesen, dass nur 2% der nicht bebauten Fläche Andorras für die Landwirtschaft genutzt werden können, bei der Größe und Beschaffenheit des Landes denke ich, dass mit der „landwirtschaftlichen Nutzung“ vor allem die Blumentöpfe der Bewohner gemeint sind. Und wir besuchten einen sehr kleinen Friedhof, das aus mehreren schmalen mehrstöckigen Häuschen (terrassenartig angeordnet), mit „Schubläden“ bestand – na klar: „einbuddeln“ dürfte in Andorra ein überaus mühsames und vor allem ein besonders kostspieliges Unterfangen sein.

Was sich nebenbei in der Luft recht unangenehm bemerkbar macht, da die Kanalisation nicht tief genug liegen dürfte. Gegenüber dem Friedhof war eine Bushaltestelle. Kaum wir uns hingestellt haben, kam auch schon der Bus. Nachdem ich mich mit dem Buschauffeur auf französische Sprache als Kommunikationsmittel geeinigt habe, fuhr er mich schroff an, dass wir kein Recht dazu hätten ihn anzuhalten, da er an dieser Stelle weder stehen kann noch darf. Ehe ich antworten konnte stieg eine Frau aus, mit einer internationalen Handbewegung negierte sie den gesunden Verstand des Fahrers und lud mich mit einer nicht minder verständlichen Geste zum Einsteigen ein.

Wir stiegen ein indes sich im Bus eine lebhafte Diskussion in Katalanisch entfachte, das Gespräch aber bald nach rückwärts abwanderte wo es im gedämpften Lachen und Gemurmel verhallte. Und der Fahrer setzte endlich seinen weder stehen könnenden noch dürfenden Bus in Bewegung. Mehr oder weniger. Der Straßenverkehr in Andorra la Vella ist von einem permanent drohenden Verkehrsinfarkt geprägt, fast an jeder der winzigen Kreuzungen „tänzeln“ Verkehrspolizisten mit Funkgeräten, bemüht das Übel in den Griff zu bekommen. Wenn man weiß, dass die öffentlichen Verkehrsmittel in Andorra gratis sind, ist es sehr verwunderlich, dass sich die Bevölkerung lieber auf eigener Achse dahinquält.

Wir machten einen Ausflug nach Ordino, ein verschlafenes Miniaturstädtchen, wo sich rein gar nichts abspielte, die Kirche war geschlossen und ein Straßencafé offen. Wir tranken einen ausgezeichneten Espresso, wollten das örtliche Museum besuchen, das aber geschlossen war und mein Mann fand schließlich ein Museum der Miniaturen, das immerhin offen hatte. Die Dauerausstellung von Arbeiten eines ukrainischen Künstlers war in der Tat beeindruckend.

Man konnte die Prachtstücke nur unter Mikroskop betrachten, wie z.B. eine Kamelkarawane samt Pyramide und Palmen im Nadelöhr, mit bloßem Auge war nur die Nadel zu sehen. Oder die Initialen des Künstlers, geritzt auf der Spitze eines menschlichen Haars, welches ohne Mikroskop kaum sichtbar war. In dem offenbar einzigen Souvenirladen ergatterte ich Postkarten aber keine Briefmarken, die gab es nur auf dem Postamt und das Postamt hatte zu. Die Briefe werden wahlweise durch die französische oder spanische Post befördert, also wollte ich die Postkarten am nächsten Tag aus Frankreich abschicken, vergaß darauf und brachte sie mit nach Wien.

Damit ich Andorra doch nicht mit leeren Händen verlasse, entschied ich mich im letzten Moment für ein Mitbringsel aus unserem Hotelzimmer. Selbstverständlich auf meine Art! Ein anständiger Mensch klaut im Hotel ein Handtuch oder zumindest einen Waschlappen, die versierten Reisenden lassen ein Duschtuch oder einen Bademantel (sofern bereitgestellt) mitgehen. ICH dagegen STEHLE NICHT! Also verhandelte ich mit der Rezeption, die wiederum mit der Hotelleitung per Telefon endlos rumdiskutierte, bis ich eine Stunde und 100 € später den einzigen Sessel aus unserem Zimmer ins Auto packen durfte. Und den Wachlappen klaute ich doch! Meine Familie und einige Freunde, denen ich darüber berichtete, nahmen meine neueste Extravaganz praktisch kommentarlos hin, der einzige, der den Kopf schüttelte, war mein Mann – als ihm endlich dämmerte, das wir das Trumm nicht nur nach Frankreich sondern von dort nach Barcelona und danach irgendwie bis nach Wien schaffen müssen.

Er sprach mir wieder einmal jeglichen Funken von Intelligenz ab, was mich nicht juckte – ich brauche ja nicht gescheit zu sein, ich habe doch IHN. Nicht desto trotz entwickelte ich flink Plan A (per Bahn nachschicken lassen), Plan B (als Reisegepäck mitnehmen) und sicherheitshalber auch Plan C (wenn alle Stricke reißen: Yves und Nicole im nächsten Frühjahr nach Wien einzuladen und sie gleichzeitig mit dem Möbeltransport zu beauftragen). Plan A verwarf ich, da die Beförderung per Bahn auf diese Entfernung relativ kostspielig wäre und das gute Stück möglicherweise nicht heil ankommen würde. Plan B klappte dagegen vorzüglich. In Frankreich kauften wir im Baumarkt eine quietschgrüne feste Komposttasche, stopften unsere schmutzige Wäsche rein, stellten darauf den Stuhl, den ich vorher mit Verpackungsplastik (das Zeug mit den Bläschen, die so herrlich platzen wenn man sie einzeln knackt) umwickelte, zwängten meine Reisetasche zwischen die Lehnen und schnürten das Ganze zusammen so, dass die Henkel der Komposttasche frei waren.

Für das Abwiegen des außerirdischen Reisegepäcks mussten allerdings unsere schlanken Freunde herhalten, da unser Gewicht samt Zuwaage die Skala der Badezimmerwaage krass überforderte. Immerhin blieb das Gebilde nach Abzug des Lebendgewichtes meines „Gatten a.D.“ unter 20 kg und trotz aller Unkenrufe meines amtierenden Gemahls (das Klumpert wäre zu breit für das Förderband am Flughafen und wird ohne bzw. samt uns in Barcelona stecken bleiben), wusste sich das Flughafenpersonal zu helfen und beförderte das quietschgrüne Ungetüm anstandslos und ohne Aufpreis bis nach Wien. Jetzt steht das unscheinbare Ding bescheiden in meinem Zimmer und meine Katze Mariedel freut sich ungemein über das neue Schlafplätzchen.

Der Grund, weshalb ich auf das gute Stück gar so scharf war, ist ganz prosaisch: es ist ein ungewöhnlich niedriger Lehnstuhl, der dennoch so breit ist, dass mein keineswegs normgerechter Hintern darin bequem Platz findet. Es ist eine stabile gute Handarbeit. Mit meinen 1m53 habe ich mit den normalen Sitzgelegenheiten so meine Probleme: wenn ich mich beim Sitzen nicht auf die Zehenspitzen stütze, klemme ich mir den Sitznerv ein und meine Füße schlafen ein.

Und nun folgt die Abhandlung über den französischen Teil unseres Urlaubs. Der Ordnung halber beginne ich mit einigen Daten aus dem Internet:

Gesamtfläche: 672.352 km², 64,102.140 Einwohner, jeweils samt Überseegebieten. Damit nimmt Frankreich bei der Bevölkerungszahl der EU den zweiten Platz ein, nach Deutschland. Die eigenständige Geschichte des Landes beginnt erst mit der Aufteilung des Reiches vom Karl des Großen (Charlemagne) unter dessen Enkel, was mit dem Vertrag von Verdun im Jahre 843 geschah. Im Laufe ihrer Geschichte hat sich die Grande Nation nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Andererseits fällt mir ad hoc nicht ein, welches Land dies tat – abgesehen natürlich von den jeweils im nachhinein mit viel Eifer und Phantasie selbstgestrickten ruhmreichen Vergangenheiten, mit denen sich jedes Volk gerne schmückt. Aber das ist natürlich eine andere Geschichte.

Yves und Nicole wohnen jetzt in einer relativ neuen Gartensiedlung am Rande von Montady, einem Städtchen mit rund 2.500 Einwohnern, das es nach sieben Jahren immer noch nicht geschafft hat, seine eigene Erweiterung zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn kartographisch zu erfassen. Das Internet ignorierte die angegebene Adresse und schlug mir immer wieder die Stadtmitte vor. Nachdem ich vor Ort ohne Erfolg herumfragte, landete ich schließlich im Rathaus, wo man mir statt Antwort eine Kopie des handgezeichneten Lageplans in die Hand drückte. Danach fanden wie die Adresse auf Anhieb und wurden wärmstens empfangen, wenn auch mit einiger Verspätung. Monsieur und Madame waren nicht zu Hause, eine Rücksprache per Handy ergab, dass Yves das Datum verwechselte und uns erst am nächsten Tag erwartete.

Die beiden stürmten gerade die Lebensmittelläden in Narbonne um beträchtliche Proviantvorräte für unseren bevorstehenden Besuch herbeizuschaffen. Wir nutzten deren Abwesenheit und fuhren nach Pezenas, ein malerisches Städtchen im Departement Hérault, das 300 vor Christi gegründet wurde und heute rund 7.600 Seelen zählt. Am Hauptplatz tranken wir in einem Straßencafé ein ausgezeichnetes Espresso. Wir haben Andorra vor 11 Uhr verlassen, mittlerweile wurde es spät nachmittags und die Speiselokale waren noch geschlossen. Und da begangen wir einen unverzeihlichen Frevel indem wir uns ausgerechnet beim allgegenwärtigen McDonald „Erste Hilfe“ holten.

Über unseren Besuch in Frankreich lässt sich eigentlich nicht besonders viel berichten. Wenn ich so zurückdenke, fraßen wir die meiste Zeit. Das Essen war – wie erwartet – vorzüglich und viel zu viel! Unsere Gastgeber haben ganz offensichtlich unsere Aufnahmekapazität nach unserem beeindruckenden Volumen berechnet, auch wenn sie es hinterher nicht zugeben wollten. Sie ließen sich nicht lumpen und kredenzten, nebst den verschiedensten Leckerbissen in Hülle und Fülle, auch Austern und Garnelen, Wir futterten was das Zeug hielt und verzichteten dabei auf schlechtes Gewissen. Das bekamen wir allerdings hinterher, als wir uns die Preise in den Läden angeschaut haben. Das allerteuerste in Südfrankreich ist Gemüse, Obst und Fische, nur die Austern sind im Vergleich mit Österreich relativ günstig.

Seit einiger Zeit spielten wir mit dem Gedanken, uns ein Häuschen in Südfrankreich zu kaufen. Unsere Kinder waren von dieser Idee natürlich hellbegeistert und malten sich aus, wie sie dann mit ihren Familien die Ferien mitten in dieser „Romantik pur“ verbringen werden. Auch unsere Freunde hätte man dazu nicht erst mühsam überreden müssen. Obwohl dieser Landstrich schon durch den Klang seines Namens Sehnsüchte weckt, vor Ort verdampft die Romantik im Wassermangel und was die sengende Hitze nicht schafft, bläst der heiße Wind davon. Natürlich gibt es dort jede Menge traumhafte Fleckchen, mit allem drum und dran was das Herz begehrt, allerdings jenseits einer – wenn auch tüchtig gefüllten - mittelständischen Geldbörse. Sowie in Castelnau de Guers, wo meine alte Schulfreundin glücklich mitten im sprichwörtlichen französischen Paradies residiert und es sich offensichtlich leisten kann, ihre paradiesische Zustände zu erhalten. Sie lud uns zum Mittagessen ein und wir verbrachten mit ihr, ihrem reizenden Mann und ihrer „Astralschwester“ (einer Französin, die am gleichen Tag geboren wurde) einen überaus reizvollen Nachmittag.

Obwohl unsere Freunde in der Vergangenheit eher selten auf die Butterseite gefallen sind, so konnten sie sich immerhin einiges zusammensparen, aber die Ersparnisse reichen heutzutage nur für eine, vom lieben Gott weniger bevorzugte Gegend aus. Vor ein paar Jährchen wurde Südfrankreich von Engländern und Schweden entdeckt, die sich mit ihrem Geld im eigenen Land verdammt schwer tun würden während sie hier tatsächlich wie Gott in Frankreich leben können. Es kam zu einem „run“ auf die Grundstücke, ein Umstand der die Preise gehörig in die Höhe trieb. Mein Mann studierte die Angebote der zahlreichen Immobilienbüros in der Gegend und wir kamen zu der Ansicht, dass wir eigentlich genau dort bestens aufgehoben sind wo wir ohnehin sind, nämlich in Wien. Und die reizvollste Seite Südfrankreichs können wir sowieso hin und wieder eine Septemberwoche lang bei unseren Freunden genießen.

So zum Beispiel einen Ausflug nach Béziers, einem weiteren wunderschönen Städtchen an der Via Domitia (der ersten römischen Straße im alten Gallien, die einst Italien mit Spanien verband) mit seiner 2.700 Jahre alten Geschichte, das im 8. bis 2. Jahrhundert vor Christi eines der wichtigsten Städte des keltischen Mittelmeerraumes gewesen ist. Überwältigend ist die Schleusentreppe von Fonserannes am Canal du Midi, die über 300 m lang ist und seinerzeit 21,5 m Höhe zu überwinden hatte. Die unterste Schleusenkammer ist heute nicht mehr im Betrieb, da der Canal du Midi bereits in der 7. Kammer abgezweigt wird und über eine Kanalbrücke den Fluss Orb überquert und so den Hafen von Béziers erreicht.

Es ist ein echtes Kuriosum, da diese Brücke nicht für den Verkehr bestimmt ist sondern einzig und allein als Wasserbett des Canal du Midi dient, dessen Wasser sie (buchstäblich im hohen Bogen) über den Fluss führt. Heute heben 6 Schleusenkammern die Schiffe um 13,6 m an. Im Jahr 1983 wurde (als Alternative zu der bestehenden Schleusentreppe) gleich daneben ein modernes Schiffshebewerk erbaut, das allerdings außer Betrieb ist. Laut Yves ist die Konstruktion nicht technisch ausgereift und hat angeblich nie funktioniert – ganz im Gegensatz zu der, aus dem 17. Jahrhundert stammender Schleusentreppe. Sowohl die Trassenführung des 241 km langen Canal du Midi als auch die damit verbundenen rund 350 technischen Bauwerke wurden von einem Beamten und Ingenieur aus Béziers namens Pierre-Paul Riquet geplant, der auch sämtliche hiezu erforderlichen Verträge aushandelte, die Bauarbeiten überwachte und das Monsterprojekt zum Teil selbst finanzierte.

Es ist umso erstaunlicher, da er seine diesbezüglichen Fähigkeiten im Selbststudium erworben hat! So ist in Béziers nebst dem Wunderwerk eines Autodidakten auch ein Denkmal der Überheblichkeit moderner Technik des 20. Jahrhundert zu besichtigen. Es sei noch gesagt, dass es Monsieur Riquets größter Wunsch gewesen ist, die Eröffnung seines Lebenswerkes zu erleben, was ihm leider versagt blieb. Um das Bauvorhaben voranzutreiben, steckte er in dieses Projekt sein ganzes Vermögen und stürzte sich obendrein in immense Schulden.

Er starb rund 7 Monate vor der Fertigstellung des Bauwerkes (das sein ältester Sohn zu Ende führte) und dessen feierlicher Eröffnung in Toulouse. Seine Nachkommen erbten einen riesigen Schuldenberg und brauchten viele Jahre um die Kredite abzustottern, die der Vater für den Kanalbau aufgenommen hatte. Da aber Riquet (und damit auch seine Erben) vom König das Privileg auf die Einnahmen aus dem Kanal erhielt, konnte die Familie Riquet letztendlich durch den Canal du Midi hohe Erträge lukrieren. So fand die Story doch ein Happyend, was in der Geschichte nur äußerst selten vorkommt.

Wir haben auch ein nahes Hütemuseum besucht. Der Besitzer hat im Laufe der Zeit mehrere Hundert Stück Kopfbedeckungen zusammengetragen und bemühte sich, diese einigermaßen thematisch zuzuordnen. Die Damenhütte hätte ich am liebsten alle einzeln probiert, man kann sie auch ausleihen. Auch wenn sie als Kopfschmuck für die gepflegte Dame kreiert wurden, mit entsprechendem Ernst natürlich, taugen die meisten Hüte wohl eher als narrengerechter Faschingsaufputz. Es gab auch unzählige Uniformkappen, die – obwohl authentisch und mit noch größerem Ernst erschaffen – nicht minder lachhaft aussahen.

Und natürlich konnte ich nicht an einem Friedhof vorbeigehen ohne reinzuschauen. Auf vielen Gräbern standen, einst als „kunstvolle Umrandung“ gedacht, zierlich geschmiedete Eisengitter, die im Laufe der Zeit zu hoffnungslosen Rosthaufen verkamen und heute an altmodische Bettgestelle bei einem Alteisentandler erinnern. An manchen dieser „Zieraten“ hingen alte Photos der teuren Verblichenen und kleine Täfelchen mit Widmung, manche gar mit den besten Wünschen „zum Geburtstag“. Als Aufputz lagen hie und da auf den Gräbern klobige Keramikblumen, meist riesenhafte Stiefmütterchen, wie es in Südfrankreich so üblich ist.

Die reichen Familien leisteten sich eine Familiengruft, steingewordene Albträume: überdimensionale schmucklose Klötze aus abbröckelndem Beton, grau in grau, auf dem „Kopfteil“ die Namen der in Ewigkeit Gefangenen eingemeißelt. Es sah nach Verdammnis aus. Just an diesen Familiengrüften entdeckte ich, dass hier einige ungewöhnlich alt - ja geradezu uralt - gewordene Menschen ihre letzte Ruhestätte fanden. Kann es sein, dass ihre Nachkommen die monströsen Betonklötze dort errichten ließen um zu verhindern, dass die Alten noch aus dem Grab herauskraxeln um ihnen post mortem die Erbschaft streitig zu machen?

An den Abenden saßen wir gemeinsam mit unseren Gastgebern vor dem Fernseher, es fand gerade die Weltmeisterschaft in Rugby statt. Ganz Frankreich pickte vor der Glotze, während man anderweitig (vor allem in Österreich und in Deutschland) von diesem Großereignis kaum Notiz nahm. Yves war in seiner Jugend „der Star“ des Rugbyclubs in St. Julien (eine kleine Stadt in Frankreich, nur wenige Kilometer von Genf entfernt), daher verbrachte ich so manches Wochenende, wenn auch recht unfreiwillig, auf dem Rugbyplatz und hinterher bei den Siegesfeiern in der Kneipe La Dilligence, wo Panaché (ein suspektes Gesöff aus Bier und Limonade) in Strömen floss.

Das Rugby wäre spurlos an mir vorbei gegangen, gäbe es nicht Yves und seinen schrägen Humor. Wir waren damals verheiratet, wohnten in Genf und arbeiteten in gleicher Firma. Es gab kein Spiel, bei dem der Kerl nicht verletzt wurde – mal hinkte er, mal trug er die Hand in einer Schleife und niemals fehlten die obligaten „Veilchen“ im Gesicht. Wenn wir uns dann in der Firma auf dem Gang trafen und ich etwas zu ihm sagte, schreckte er jedes Mal theatralisch zurück, hielt sich die „gesunde“ Hand schützend vors Gesicht und hauchte devot „oui Madame!“ Man schrieb seine Verletzungen meinem Temperament zu und hielt mich für einen Hausdrachen.

Yves lachte sich darüber krumm. Immer wieder. Rugby spielt er seit Jahren nicht mehr, seine zweifelhaften Späßchen treibt er immer noch und ist – gottlob – seit Ewigkeiten anderweitig verheiratet. So komme ich zum Glück nur äußerst selten in den Genuss seiner Scherze.

Die Rückreise verlief glatt, im Flieger standen uns wieder drei Sitze zur Verfügung. Unser Sohn Philip holte uns pünktlich ab und ich stellte wieder einmal mit Vergnügen und großer Genugtuung fest, dass Kinder (haben) nicht nur jede Menge Nachteile und allerhand Probleme bedeuten, sondern hin und wieder auch einen Vorteil mit sich bringen!

Alle Rechte liegen bei der Autorin.

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