Samstag, 22. Januar 2011

Urlaub 2004

Da wir heuer bereits einen Kurzurlaub in Barcelona absolviert hatten, verspürten wir keine große Lust nochmals das Weite zu suchen und beschlossen daher, unsere Sippe in Kärnten heimzusuchen und uns dem intensiven Herumlungern (weltmännisch: dolce far niente) herzugeben. Diese Entscheidung wurde nicht zuletzt durch die Tatsache bedingt, dass mein Herr Smart dringend eine technische Kontrolle samt dem dazugehörigen „Pickerl“ benötigte, wofür wiederum Joachim (seines Zeichens Automechaniker, Ehemann der älteren Nichte und zugleich Beschaffer von meinen Auto) zuständig ist.

Ich gab unseren Nichten den bevorstehenden Überfall per Mail bekannt und da mich der Teufel geritten hat, habe ich es scherzhafter weise folgendermaßen formuliert: „Gnedige Frau. Ich informire inen, das ich ab 1. august fir ajne woche fraj bin und werde komen um fir inen zu kochen liwanzen und andere fajne sachen. Hechachtungsfol, ihre bemische kechin“

Für jene, die es vielleicht nicht wissen: in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie stellten die böhmischen Länder die Handwerker und Köchinnen bei, beides damals sehr begehrt. Ein vornehmes Haus war erst dann richtig vornehm, wenn es sich mit einer echten böhmischen Köchin rühmen konnte. Man ließ das Gewand bei einem böhmischen Schneider anfertigen, die feinen Schneider nannten sich Damensalons bzw. Herrenausstatter und noch heute gibt es in Wien den, vormals böhmischen, Herrenausstatter KNIZE, dessen Preise ebenso fürstlich sind wie der Name des Gründers (Knize = Fürst). Wer auf sich hielt, trug sein Schuhwerk selbstverständlich von einem böhmischen Schuster maßgeschneidert. Die, in Altösterreich ansässigen Tschechen sprachen ein „verböhmischtes“ Deutsch, bei dem die Satzstellung verkehrt und die Umlautbuchstaben konsequent ignoriert wurden. Man „bemakelte“ eben. Obwohl ich auf Grund meiner Herkunft alle Voraussetzungen für ein tadelloses Bemakeln hätte, ist es mir leider nie gelungen, diese amüsante Sprachverzerrung wiederzugeben und zuweilen gifte ich mich über die ebenso perfekten wie köstlichen Darbietungen des Schlagersängers Peter Alexander (in Pilsen geboren) oder des Schauspielers Maxi Böhm (aus dem Nordböhmischen Reichenberg, leider bereits verstorben) sowie Fritz Muliars (unübertroffen als der brave Soldat Schwejk).

Und es wurde mir auch folgende Geschichte aus jener Zeit erzählt: die weiland österreichisch-ungarische Herrschaft verfügte sich eines Tages vorübergehend nach Salzburg, die böhmische Köchin blieb in Wien zurück und übernahm resolut die Herrschaft über den ebenda verbliebenen Teil der Dienstboten. Sie wurde unter anderem damit betraut, das Schuhwerk zum Schuster zu bringen, was sie höchstpersönlich erledigte, anlässlich einer gestrengen Prüfung fand sie dann seine Arbeit nicht zufriedenstellend und geriet mit ihm darüber in Streit. Anschließend unterrichtete sie ihre Herrschaft brieflich über diese Auseinandersetzung und schloss ihren Bericht mit den Worten: „ .. und da hab ich gesagt zu ihm, er ist ein ganz urtinehra Bemm!“ Womit gemeint war, dass der Schuster nur ein einfacher (also ordinärer) Böhme wäre während sie (die nicht minder böhmische) eine herrschaftliche Köchin sei - und somit natürlich päpstlicher als der Papst.

Mit dem Mail an meine Nichten habe ich eine (witzige, wie ich meinte) Anspielung an die längst vergangenen (natürlich goldenen) Zeiten machen wollen. Dies erwies sich als glatter Reinfall, da mich die Kärntner Mannschaft beim Wort nahm und so verbrachte ich meine Vormittage am Herd, die - in Aussicht gestellten - „fajne sachen“ am laufenden Band produzierend. Immerhin war es für mich insofern erfreulich, da der Lob, der mir zuteil wurde, in der Tat überschwänglich war und beim Essen wurde auch demonstrativ und pflichtbewusstest ge-aaah-t und ge-mmmmmhhh-t. Vor Wonne, versteht sich. Also kam auch ich in gewisser Weise voll auf meine Kosten. Ich genoss diese Lobhudeleien wirklich. Meine eigene Familie ist allzu verwöhnt und meine obligate Frage „na, wie hat’s denn geschmeckt“ standardmäßig mit „joh eh“ oder „passt“, „geht so“ bzw. „eh wie immer“ und ähnlichen knappen Aussagen abtut. Der einzige Lichtblick war eine Zeit lang unser Daniel, der sich gelegentlich zu „vorzüglich“ und „köstlich“ hinreißen ließ, als er jedoch zum Ehrensohn des Hauses Meissnitzer ernannt wurde, passte er sich flugs den Familiengepflogenheiten an und beschränkte sich fortan auf „eh gut“. Einmal habe ich am Sonntagstisch die ausgebliebene Huldigung ob meiner Kochkunst reklamiert: „ja kruzitürken, schmeckt es denn niemanden?!“ Worauf alle erstaunt von ihren Tellern aufblickten und leicht pikiert erklärten: „joh eh, wir haben doch nix gesagt!“

Für Dienstagabend hatten wir Karten für Komödienspiele auf Schloss Porcia im nahegelegenen Städtchen Spittal an der Drau. Man gab den Idealen Gatten von Oscar Wilde und ich freute mich schon sakrisch darauf. Oscar Wildes Komödien haben sich seit jeher als gepflegte Unterhaltung bewährt, die Kostüme waren wunderschön, an dem Szenenbild war ebenfalls nicht das Mindeste auszusetzen. Indes die Herren Schauspieler ihr Bestes gaben, spielten die beiden Protagonistinnen an ihren Rollen völlig vorbei. Die naive, ihren Gemahl vergötternde Lady war eine penetrante Emanze während ihre Gegenspielerin den Text zickig herumspuckte anstatt wie erwartet sofisticated zu wirken. Und ich war stinksauer. Natürlich.

Am Donnerstag brachen wir nach Verona auf. Der Anlass dafür war ein Versprechen, dass ich mir vor vielen Jahren gab - als ich im Prager Smetana-Theater Aida sah. Die Vorstellung war insofern frustrierend, da dieses Opernhaus für derartige Aufführungen viel zu klein ist. Auf der winzigen Bühne wetzte eine Handvoll Statisten verzweifelt im Kreis, hoffnungslos darum bemüht, einen riesigen Aufmarsch zu simulieren. Der Chor auf der Bühne bestand aus je zwei Männchen, links und rechts postiert. Der Rest sang (aus akutem Platzmangel) angeblich hinter der Bühne wobei ich den Verdacht hegte, dass die Chöre zwar sehr wohl hinter der Bühne waren, jedoch in einem Tonbandgerät zusammengepfercht. Daraufhin lechzte ich nach einer großzügigst ausgestatteten Aufführung von AIDA - so richtig mit allem drum und dran und dies möglichst im Überschwang. Jahrelang. Es war mir klar: nur die Arena di Verona kann diesen meinen Traum befriedigen. Also schlug mir mein Göttergatte vor, heuer – wenn wir schon „fast in der Nähe“ sein werden – einen kleinen Abstecher nach Verona zu machen. Nach eingehender Klärung der Begriffe „verschwenderisch“ bzw. „sierig“ (ich wollte die allerteuersten Karten à 150,00 Euro haben während mein Mann für die untere Mittelklasse à 90,00 EUR plädierte) wollten wir die Karten im Internet bestellen. Das Wortgefecht hätten wir uns sparen können: nicht nur die Mittelklasse war ausverkauft, auch die teueren Karten bis hin zu den Sauteuren, aber auch die günstigen Karten – alles futsch. Nur noch die Billigsten waren zu haben, sehr zur Zufriedenheit meines Gemahls. Ach was! Haben wir halt Karten für sage und schreibe 22,50 Euro das Stück erstanden, unnummerierte Sitzgelegenheiten auf den Steinstufen der Arena. Im Grunde auch kein Problem, ich packte fürsorglich zwei Sesselpolster ein. Dann stellte sich heraus, dass wir solange über die Anschaffung eines Opernguckers geredet haben, bis wir überzeugt waren, „man“ hat es wirklich erledigt. Unser Sohn Martin half bereitwilligst aus indem er uns seinen Jägerfeldstecher zur Verfügung stellte, ein Geburtstagsgeschenk seiner Cousine zweiten Grades, mit dem er bis dato „nicht wirklich“ etwas anzufangen wusste. Seine Leidenschaft gilt keineswegs dem Jagen sondern dem guten Bierchen und da braucht man wirklich keinen optischen Behelf um tief ins Glas schauen zu können.

Für die Nächtigung hat mir Herr Todesco liebenswürdigerweise ein ***Hotel im nahegelegenen Vicenza empfohlen, wofür ihm unser aufrichtiger Dank gebührt. Das Zimmer war sehr hübsch und geräumig, ein perfektes Frühstücksbüfett, das Personal entgegenkommend, der Preis moderat – das Doppelzimmer um 69,00 €/Nacht. Absolut empfehlenswert. Und sehr leicht zu finden, was wir bei unserer Rückkehr aus Verona (zur besonders fortgeschrittenen Stunde) besonders schätzten und den Herrn Todesco noch mit letzter Kraft hochleben ließen.

Hier der Kontakt : http://www.hotellesorgenti.com/, e-mail info@hotellesorgenti.com.

Es empfiehlt sich rechtzeitig zu buchen, da das Hotel sehr beliebt ist.

Eine teuflische Hitze breitete sich aus. Wir hatten Zeit genug, also entschieden wir uns für die Landstraße. Einerseits wollte ich die Landschaft im gemäßigten Tempo bewundern, andererseits hofften wir auf schattige Strecken (zumindest fallweise), die es auf der glühenden Autobahn mit Sicherheit nicht geben würde. Mein Smart (mit Klimaanlage) war noch in der Werkstatt. Es war die höchste Zeit, wie sich herausstellte. Ein Tag vor unserer Abreise aus Wien ging irgendein Relais kaputt, mir fiel lediglich auf, dass der Wagen nicht mehr aufgeregt piepste wenn ich die Tür öffnete als das Licht noch eingeschalten war. An diesem Relais hängt aber auch das Stand- und Rücklicht sowie die Beleuchtung am Armaturenbrett und so haben wir, ohne es zu wissen, den letzten Kilometer in der Dämmerung ohne Rücklicht zurückgelegt. Für die Italienreise hielt Joachim für uns ein Ersatzauto bereit, ebenfalls mit Klimaanlage. Doch noch bevor wir abrauschen konnten, fand sich unvermutet ein begieriger Käufer, der den Wagen gegen entsprechende Barschaft gleich mitnahm. Die jüngere Nichte stellte uns daher ihren Wagen zur Verfügung. Ohne Klimaanlage. Es gab unterwegs tatsächlich hin und wieder einen Schatten, doch wir konnten gerade noch aufjauchzen „Jö, endlich ein Schat..“ und der Zauber war auch schon vorbei, sodass uns „..ten“ bereits im Mund verdampfe. In einer glühenden Blechbüchse, eingekocht in eigenem Saft, erreichten wir am späteren Nachmittag die Oase unseres Hotels, das den verheißungsvollen Namen Le Sorgente trägt, deutsch: Die Quellen. Das Zimmer war reserviert, dank Herrn Todesco bekamen wir sogar einen Nachlass auf den ohnehin schon günstigen Preis. Der Herr an der Rezeption hieß uns willkommen und rief bereitwillig in Verona an, um Informationen bezüglich der Parkmöglichkeiten einzuholen. Die Arena selbst befindet sich in der Stadtmitte, rundherum gibt es ausreichend Parkplätze und Parkhäuser, von denen man die Arena bequem zu Fuß erreichen kann. Wir duschten, zogen uns um und fuhren dem großen Kulturerlebnis erwartungsvoll entgegen.

In Verona kamen wir gegen 18.00 Uhr an, fanden im Nu einen Parkplatz in der nahen Tiefgarage (13,00 €, gültig bis 7.00 Uhr in der Früh) und spazierten gemütlich zur Arena, ausgerüstet mit Sitzpolstern, Knirpsen und dem Feldstecher. Die Flasche mit dem „kochenden“ Mineralwasser ließ ich im Auto zurück. Es war immer noch sehr heiß und schwül. Wir wanderten um die Arena herum, von einem Kartenbüro zum anderen, an riesigen Menschenschlangen vorbei, die sich bereits vor den Einlässen bildeten, bis wir endlich die richtige Ausgabenstelle für Internetbestellungen fanden. Danach suchten wir nach einem Laden um frisches und möglichst eisgekühltes Mineralwasser zu kaufen, fanden keines, tränkten uns bei einer kleinen Fontäne - und spritzten uns dabei an. Dort bemerkte ich auch einen Hinweisschild mit der Aufschrift Casa di Giulia. Ich hätte liebend gerne das Haus besichtigt, in dem die berühmte Julia nicht gelebt haben konnte (in Anbetracht der simplen Tatsache, dass sie nie existierte). Doch die Zeit schritt voran und wir hielten es für vernünftiger, uns in die stetig wachsende Menschenschlange einzugleidern. Um 19.00 Uhr begann es zu tröpfeln. Wir standen da unter unseren Regenschirmen, ich übte mich in small talk mit einigen deutschen Touristen während wir alle 15 Minuten um einige Meter vorrückten, bis wir etwa um 20.15 Uhr die Stufen in die Arena erreichten. Die Arena ist mit einem dicken hohlen Gemäuer umgeben, in dem sich ein Gewölbe mit Stufen befindet. Das Gewölbe erinnert an einen Verließ und riecht ebenso modrig. Der einzige Unterschied: die Treppe führt nicht hinunter sondern hinauf. Wir steckten darin fest, gepfercht in einer Menschenmasse und ich kämpfte gegen meine Platzangst an. Einige Menschen verloren offensichtlich die Nerven und drängten sich an uns vorbei ins Freie, was mein Mann nicht kommentarlos hinnehmen wollte. Ich wies darauf hin, dass die Arena immerhin 3.000 Zuschauer fasst und es ist nun wirklich schnurzegal, wenn sich da ein paar Leute vordrängen. Und dann kam ein gewaltiger Wolkenbruch, die riesige Schlange vor der Arena löste sich sekundenschnell auf und aus dem Inneren der Arena zwängten sich jene Menschen, die sich soeben vorgekämpft hatten, wieder herein, völlig durchnässt, einige trugen vom Wind umgestülpte Regenschirme. Sie watschelten traurig heimwärts, so pitschnass wie sie waren, wäre beim weiteren Verweilen eine Lungenentzündung vorprogrammiert. Mein Göttergatte jauchzte vor Schadensfreude. Nach etwa 10 Minuten war der Spuck wieder vorbei und etwas später waren auch wir endlich drinnen. Mein Mann kraxelte behände die Stufen hinauf, bis zum obersten Juchhei. Ich hatte da erhebliche Schwierigkeiten, da ich beim Eingang unwillkürlich hinunterblickte und prompt einen Schwindelanfall bekam. Ich drehte dem Abgrund den Rücken zu und schob mich auf zitternden Beinen seitwärts weiter. Die bereits Sitzenden verstanden mein Problem sofort und boten mir ihre ausgestreckten Arme an. Es ging so lang gut bis mir ein Deutscher seine helfende Hand entgegenstreckte und dazu mit lauter Stimme Don Giovannis Arie „reich mir die Hand fürs Leheeeben!“ sang. Ich musste lachen und verlor prompt das Gleichgewicht. Es passierte gar nichts. Wie sich herausstellte, gab es da nicht das kleinste Plätzchen wo ich hätte hinfallen können. Zum Glück. Um 20.50 Uhr konnte ich endlich neben meinen Mann Platz nehmen, in der obersten Reihe. Er rechnete mit weiteren Regengüssen und wollte etwaige „Hintermänner“ vermeiden, von deren Regenschirmen Wasserbäche auf seinen Nacken laufen würden.

Der Himmel war sternenklar, die Lichter der Stadt bildeten eine romantische Kulisse, viele Zuschauer zündeten kleine Kerzen an. Es war zum Umfallen schön. Die Vorstellung begann pünktlich. Das Bühnenbild, die Kostüme und die Inszenierung stammten vom Meister Zefirelli himself, der auch Regie führte. Für mich war es ein wahr gewordener Traum. Die Kostüme: eine Augenweide (mit einem Operngucker wäre ich aufgeschmissen, der Feldstecher bewährte sich geradezu genial), das Bühnenbild übertraf meine kühnsten Erwartungen und die Stimmen - vom Feinsten! Und ich bekam endlich meine erträumen Bühnenaufmärsche zu sehen. Ich war überglücklich. Bis zur ersten Pause. Sie dauerte 15 Minuten lang - keine Chance den weiten Weg hinunter über die Zuschauer zu steigen, geschweige dann die Toilette zu suchen und schon gar nicht rechzeitig seinen Sitzplatz wieder zu erklimmen. Die „billigen“ Zuschauer standen auf und versuchten Turn- und Dehnübungen zu machen ohne dabei die Sitznachbarn (bzw. Vorder- und Hintermänner) ins Gesicht zu schlagen oder sonstwie zu malträtieren. Der Anblick war seltsam: überall standen Menschen, die sich wandten und krümmten wie überdimensionale Regenwürmer. Entschuldigungen in allen Sprachen der Welt pflanzten sich murmelnder weise wie die stille Post durch die Reihen fort. Die zweite Pause dauerte 20 Minuten, die ganze Vorstellung zog sich über - sage und schreibe - drei und halb Stunden. Im großen Finale starben Aida & Radames, aus vollen Kehlen singend, eine geschlagene dreiviertel Stunde lang, begleitet von leisen Seufzern älterer Zuschauer auf den billigen Plätzen, die redlich mitgelitten haben – wenn aus wesentlich prosaischeren Gründen. Wie auch immer, es war ein unvergessliches Erlebnis. In jeder Hinsicht.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich anmerken, dass man den Opernkomponisten nahe legen sollte, die - für gewöhnlich ellenlangen - Sterbeszenen ihrer Protagonisten etwa 15 Minuten nach Anfang der Oper anzusetzen, damit diese zu einer annehmbaren Zeit das Zeitliche segnen - um vorzubeugen, dass das erschöpfte Publikum noch vor ihnen krepiert. Es wäre durchaus praktisch, da es wesentlich leichter ist, eine dahingeschiedene Aida samt Radames von der Bühne zu tragen anstatt rund 2500 Leichen aus dem Zuschauerraum zu entsorgen. Da wir es in der Aufregung verabsäumt hatten, das Programmheft zu kaufen, fragte mich mein Mann nach der Handlung. Ich habe Aida zwar mehrmals gesehen, aber konnte ich mich an die Handlung nicht mehr erinnern. Genaugenommen geht man nicht in die Oper wegen der Handlung sondern der herrlichen Musik wegen. Genaugenommen ist die Handlung völlig egal, da sie bis auf wenige Ausnahmen trivial, an den Haaren herbeigezogen und stets nach dem gleichen Muster gestrickt ist. Im Grunde ist es ein Roman von Rosamund Pilcher in Maggiwürfel und ohne Happyend. Er/sie liebt sie/ihn, er/sie liebt sie/ihn nicht mehr, er/sie liebt sie/ihn wieder, doch sie ist bereits sterbenskrank und stirbt bzw. sie/er liebt ihn/sie, er/sie merkt es nicht, vorauf sie stirbt. Bzw. beide. In allen möglichen Variationen. Hier mein kleiner Opernführer : wenn die Protagonistin am Ende stirbt, ist es eine Oper, wenn sie es überleben tut, ist es eine komische Oper, wenn keiner stirbt und dazwischen auch geplaudert und gehopst wird, ist es eine Operette, mit noch weniger Gesang und mehr Gehoppel wird es zum Musical.

Um halb eins war der Kulturgenuss zu Ende und ein frenetischer Applaus breitete sich aus, worauf sich die (wirklich großartigen) Sänger ausgiebigst in alle Richtungen verneigten. Gegen ein Uhr nachts waren wir wieder in Freiheit und verdrückten im gegenüber liegenden Lokal eine Pizza. Wir kamen um halb drei nachts (früh?) in unserem Hotel an, gedachten in tiefer Dankbarkeit des Herrn Todesco und huschten in die Federn.

Am nächsten Tag frühstückten wir ausgiebig und machten uns auf den Heimweg. Auf der Landstraße. In der mörderischen Hitze. Draußen 34°C, im Auto mindestens 50°C. Mein Mann wollte sich noch bei den Marmorherstellern im Spillimbergo umsehen, da wir im Erdgeschoss unseres Hauses einen neuen Boden brauchen. Meine Einwände bezüglich fer’agosta lies er nicht gelten. Fer’agosta ist eigentlich ein Marienfeiertag (am 15. August), der aber in Italien traditionell auf den ganzen August ausgedehnt und somit das komplette Geschäftsleben den ganzen Monat lahm gelegt wird. Ich behielt Recht. Es war fer’agosta und es war - geschäftlich gesehen - im ganzen Lande eine tote Hose. Wenn wir schon in der Gegend waren, setzte ich einen Abstecher nach San Daniele durch. Wir tranken dort einen exquisiten Espresso, aßen Eis und erstanden 4 kg von dem berühmten Rohschinken, direkt beim Hersteller. Womit unser Vorhaben, beim RAIBL in Tarvis fein zu speisen, ins Wasser fiel bzw. in der Hitze verdampfte. Wir eilten heim nach Kärnten, um den Schinken halbwegs heil durch die Hitze und in den Kühlschrank zu bringen. Im Kanaltal war es bereits deutlich kühler, im Auto immer noch nicht.


Anderntags kochte ich das Mittagessen. Wir tranken noch einen Kaffe auf der Terrasse, küssten die Familie ab und brachen auf. Zehn Minuten später saßen wir wieder auf der Terrasse und tranken Kaffee. Unsere Fluchtwege waren abgeschnitten. Vor dem Tauerntunnel war der übliche kilometerlanger Sommerreiseverkehrsstau und der Katschberg war infolge eines Unfalls genauso unpassierbar. Eine Stunde später absolvierten wir erneut die verwandtschaftliche Küsschenrunde und wagten den nächsten Fluchtversuch, der diesmal gelang. Kurz nach Tamsweg wurden wir von der Gendarmerie angehalten. Mein Göttergatte war zu flott unterwegs, auf einer schnurgeraden Straße, auf der seit jeher eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 KMH gewesen ist und nun auf 50 KMH herabgesetzt wurde. Ein klassischer Fall, bei dem man als Hintergrund unwillkürlich eine Aufbutterung der Gemeindekassa vermutet. Die Gendarmen waren freundlich, ja ausgesprochen heiter, mein Mann gab zu „etwas schneller“ gefahren zu sein und berief sich auf die gewohnten 70 KMH. Wir erfuhren, dass die 50 KMH bereits seit einem Jahr gelten, versprachen hoch und heilig, uns das nächste mal strikt daran zu halten und wurden lächelnd und straflos entlassen - mit der Begründung, dass der Radar soeben abgebaut wurde. Während mein Mann startete, stellten sich die Gendarmen am Straßenrand in Reih und Glied, winkten mir neckisch zu – und lachten herzhaft. Wir wunderten uns über die auffallend gute Laune der Exekutive, die mitten im Sommer, an einem heißen Samstagnachmittag, ihren Dienst auf der staubigen Straße schieben musste – doch dann wurde mir klar: sie waren nicht einfach so fröhlich, sie lachten sich über uns krumm! Es passiert nicht alle Tage, dass man ein „rasendes“ Matchboxauto anhalten kann, in dem zwei ausgefressene Hamster dick und fett hocken und aus dessen nicht vorhandenem, dennoch voll gestopften Kofferraum, ein lieblicher Duft von Rindfleischsuppe und Schwammerlsoße herausströmt (wir führten Bündel von Liebstöckel und Schnittlauch mit, die im Kräutergarten unserer Nichten überwucherten während unsere Wiener Bestände von Ameisen zerfressen waren sowie ein Körbchen mit Steinpilzen, eigenhändig von meinem Mann in Kärntens Wäldern gepflückt). Die weitere Heimreise verlief ohne Zwischenfälle.

Am Herd stand ein Abendessen, traditionell beigestellt von unserer fürsorglichen Tochter, auf der Terrasse saßen meine beiden Prager Freundinnen, die ihrerseits einen Kultururlaub bei uns absolvierten (mit der Auflage Fauna, Flora und Haus zu hüten). Sie haben ihre Sache perfekt gemacht, sogar unser nicht werden wollender Rasen sah wie ein Rasen aus und meine wilde Katze Mariedel war offensichtlich dermaßen zufrieden, dass sie diesmal von ihrem üblichen Fäkalfeldzug gegen meine Habseeligkeiten (als Rache für meine Abwesenheit) Abstand genommen hat, was schon was heißen soll!

Am Dienstag fuhren wir mit unseren beiden Grazien wunschgemäß zum Rathausplatz um einen Abend bei den Wiener Filmfestwochen zu genießen. Am Rathaus wird alljährlich in den Sommermonaten eine riesige Leinwand gespannt, auf der ab Einbruch der Dunkelheit Filme gezeigt werden, meist Opern- aber auch Konzertaufführungen. Es war ein wunderschöner Sommerabend, wie aus dem Bilderbuch und wir freuten uns auf die Zauberflöte, die am Programm stand. Der Andrang war groß, die Bänke auf dem Rathausplatz waren restlos besetzt. Als die Aufführung begann, trauten wir unseren Augen nicht. Die drei Damen der Königin der Nacht tanzten und sangen (dies übrigens wunderschön) in einer Art Gummizelle. Sie steckten in hellen hautengen Trikots, ihre Brüste und auch der Schritt leuchteten wie 500W-Glühbirnen. Das noch dazu überdimensional. Erschreckend. Beim Auftritt des Papageno blieb uns die Spucke weg. Eine, in puffrote Fetzen gezwängte Gestalt, die wie eine boshafte Schwuchtelparodie anmutete, hopste mit obszönen Bewegungen quer durch die Gummizelle. Nach einer Viertelstunde gaben wir auf und entschieden uns für einen Kulturgenuss anderer Art.

Wir fuhren schnurstracks zum Griechen, bestellten griechische Speisen (höchstpersönlich zubereitet von einem griechischen Cousin des griechischen Lokalbesitzers, wie auf der Speisekarte stolz vermerkt wurde. (Jene, die die köstliche Komödie My big fat greek wedding gesehen haben, wissen bereits, dass das griechische Volk vorwiegend aus Cousins und Cousinen besteht.) Wir tranken griechischen Wein (zweifelsohne von einem Heer anderer Cousins persönlich angebaut, geerntet ... usw. usw.) und lernten griechische Wörter aus einem kleinen Wörterbuch, der auf der Papierserviette gedruckt war. Genauso wie Herr Portokalos in der oben erwähnten Komödie, war auch unser Grieche SEHR STOLZ auf seine griechische Sprache und gewährte uns ausreichend Möglichkeiten, ihm von der Serviette vorzulesen: „poli oreo!“ (=sehr gut) und „efcharisto“ (=danke).

Für heute verabschiede ich mich mit ANTIO. (Auf Wiedersehen. Natürlich griechisch!)

Wien, 26.08.2004

Alle Rechte liegen bei der Autorin.

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