Montag, 13. Juni 2011

Die Farbe der Erde

Ich trat zu ihr und bewunderte staunend ihre Schönheit.

Einer meiner Spaziergänge hatte mich an den Rand eines Wäldchens geführt. Und da stand sie: die schönste Blume, die ich jemals gesehen hatte.Sie wuchs, versteckt zwischen einigen Büschen, aus einer rötlich schimmernden Erde heraus. Ich konnte nicht anders, ich musste sie mitnehmen!

Jeden Tag sollte sie mich von nun an erfreuen.

Vorsichtig lockerte ich mit den Händen das Erdreich, um ihre Wurzeln nicht zu verletzen. Dann zog ich meine Jacke aus, legte die Blume und etwas Erde hinein und trug meinen Schatz nach Hause.

Zurück in der Wohnung leerte ich eine Bonbonschale und setzte meine Blume hinein. Ihre Wurzeln bedeckte ich behutsam mit der roten Erde. Dann stellte ich die Schale auf ein Fensterbrett im Wohnzimmer.

„Ich werde dich ‚Belle’ nennen!”, sagte ich. Das schien mir ein passender Name zu sein. „Heute kann ich dir leider keinen Blumentopf kaufen. Aber morgen, ganz bestimmt! Morgen bekommst du auch noch mehr Erde.” 

Da veränderte Belle plötzlich ihre Farbe. Aus tiefem Weinrot wurde ein leuchtendes Gelb.
Spürte sie, wie sehr ich sie liebte? Konnte sie meine Stimmungen erahnen und diesen ihre Farbe anpassen?

Aber warum sich über etwas den Kopf zerbrechen, worauf man sowieso keine Antwort bekommt? Hauptsache, Belle war bei mir. Ich gab ihr ein wenig Wasser, dann legte ich mich ins Bett und schlief glücklich ein.

Am nächsten Tag ging ich während der Mittagspause in eine Gärtnerei und suchte den allerschönsten Keramiktopf aus. Dazu kaufte ich für meine wunderbare Blume einen Beutel bester Humuserde. Spät abends kam ich nach Hause. Mein erster Gedanke galt Belle. Ich eilte zu ihrem Fensterbrett. Ein kräftiges Rot leuchtete mir entgegen.

Liebevoll topfte ich sie um und stellte sie zurück an ihren Fensterplatz. Wie begeisterte mich ihr Anblick! Wieder wechselte sie die Farbe ihrer Blütenblätter. Täuschte ich mich, oder sah das Gelb heute ein wenig blasser aus?

Die Tage vergingen. Jeden Abend kehrte ich nach der Arbeit eilig nach Hause zurück, gab meiner Belle Wasser und setzte mich anschließend auf einen Stuhl ihr gegenüber, um sie einfach nur anzusehen. Aber etwas beunruhigte mich.

Von Tag zu Tag schienen ihre Farben blasser zu werden. Bekam sie vielleicht zu wenig Licht? Besorgt stellte ich Belle an ein anderes Fenster, das nach Süden zeigte. Sie sollte es gut bei mir haben!

Eines Abends goss ich gerade wie gewohnt meine Blume, als ich plötzlich eine Stimme hörte:

„Gib mir von der roten Erde!”

Fast hätte ich die Gießkanne fallen lassen. Hatte Belle etwa zu mir gesprochen? So etwas gibt es doch gar nicht! Ich musste überarbeitet sein. Kopfschüttelnd ging ich ins Bett. Am folgenden Abend jedoch hörte ich wieder diese Stimme:

„Gib mir von der roten Erde!”



Nein, ich hatte mich nicht getäuscht. Es war tatsächlich Belle, die zu mir sprach. Welch eine einmalige Pflanze hatte ich da mit nach Hause gebracht!

Am nächsten Tag eilte ich ein weiteres Mal während der Mittagspause in die Gärtnerei und fragte: „Kennen Sie eine rote Erde, die Blumen besonders mögen? Es gibt sie an manchen Waldrändern.”

Der Gärtner erklärte: „Ich kenne zwar diese rote Erde, von der Sie sprechen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Blumen sie besonders lieben. Im Gegenteil. Sie ist minderwertig; kaum eine Pflanze kann in ihr gedeihen. Geben Sie Ihrer Blume lieber etwas Dünger. Damit können Sie nichts falsch machen.”

Also kaufte ich ein Säckchen Dünger und freute mich auf den Abend. Ich würde meiner Belle etwas geben können, was sie sonst niemals bekommen hätte! Abends mischte ich behutsam den Dünger unter Belles Erde.

„So, meine Schöne, das wird dir gefallen!”

Ich setzte mich wieder ihr gegenüber und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Bestimmt würde sie glücklich sein und sich mit einem besonders leuchtenden Farbenspiel bei mir bedanken.

„Gib mir bitte etwas rote Erde!”

Ihr blasses Rot wechselte langsam zu einem kraftlosen Gelb. Ich war enttäuscht. Wenn sie nur wüsste, dass diese rote Erde minderwertig ist! Warum verstand sie nicht, dass ihr der Dünger viel besser bekam? Ich gab ihr etwas Wasser. Daraufhin war sie still.

Am nächsten Abend sahen Belles Blütenblätter krank und verblichen aus. Ihre Stimme war kaum hörbar.

„Gib mir bitte etwas rote Erde!”

Verzweifelt gab ich ihr etwas Wasser. „Bitte”, sagte sie leise.

Ratlos betrachtete ich meine Blume, die mich ermattet anzublicken schien. Schließlich legte ich mich ins Bett. Doch ich konnte nicht schlafen. Unentwegt machte ich mir Sorgen um meine einstmals so schöne Belle.

Endlich fasste ich einen Entschluss: Morgen war Samstag, und ich musste nicht arbeiten. Ich würde zum Waldrand gehen und rote Erde holen, um Belles Wunsch zu erfüllen. Am nächsten Morgen stand ich früh auf und sah nach meiner Blume. Sie leuchtete nicht mehr. Sie sprach nicht mehr.

Ich hetzte zu der Stelle, an der ich sie gefunden hatte, und füllte zwei Plastiktüten mit roter Erde. Dann eilte ich wieder nach Hause. Mit zitternden Fingern wechselte ich Belles Erde aus.

Nach bangen Minuten des Wartens sah ich, wie ihre Blütenblätter sich schwach rot färbten. Allmählich leuchteten sie kräftiger.

„Ich danke dir!”, hörte ich plötzlich ihre Stimme.

Das Rot wechselte zu Orange, dann zu Gelb. Es wurde blasser und blasser. Es war zu spät.

Die ganze Zeit über hatte ich Belles Worte gehört. Aber verstanden hatte ich sie nicht.

Dabei war ihr Wunsch ganz einfach zu erfüllen gewesen. Doch ich hatte geglaubt, besser zu wissen, was gut für sie sei. Niemals mehr würde Belle ihre Farben für mich wechseln, niemals mehr eine Bitte an mich richten.


© Michael Jordan Januar 2002 / 2007

Sonntag, 20. Februar 2011

1985 - von meinen Kindern - damit es nicht vergessen wird

Wir wären nie gewaschen
und meistens nicht gekämmt,
die Strümpfe hätten Löcher
und schmutzig wär das Hemd.

Wir äßen Fisch mit Honig
und Blumenkohl mit Zimt,
wenn du nicht täglich sorgtest,
dass alles klappt und stimmt.

Wir hätten nasse Füsse
und Zähne schwarz wie Ruß
und bis zu beiden Ohren,
die Haut voll Pflaumenmus.

Wir könnten auch nicht schlafen,
wenn du nicht noch mal kämst
und uns, bevor wir träumen,
in deine Arme nähmst.

Und trotzdem! Sind wir alle
auch manchmal eine Last;
Was wärst du ohne Kinder?
Sei froh, dass du uns hast!


Mittwoch, 16. Februar 2011

Etwas besonderes, was mir gefällt


Für die ganze Welt bis du irgend jemand,
für irgend jemand bist du die ganze Welt.


hat mir dies geschrieben, weil sie es irgendwo mal gelesen hat und als ich sie fragte, warum sie mir das schreibt, gab sie mir zur Antwort:

 Weil du es verdient hast und viel mehr als nur das wert bist.

Ich bin ganz gerührt aber es ist sehr schön.

Diese Grafik bekam ich von einer ganz lieben Freundin, die leider nicht mehr an ihren Seiten arbeitet.
Diese Grafik besitzt das Copyright von
Lu Hoehne

Und dies ist mein Dank an dich liebe Inka.


Freitag, 11. Februar 2011

Meine Wiener Geschichte

In meinen Wiener Anfängen wohnte ich eine zeitlang zu Untermiete in einem möblierten Zimmer. Meine Wirtin, Frau Henisch, entstammte einer altösterreichischen Offiziersfamilie und sprach sogar noch recht passabel tschechisch. Mein damaliger deutscher Wortschatz beschränkte sich dagegen auf „Guten Tag“ und „das ist zum Kotzen“ (aufgeschnappt aus einem tschechischen Kriegsfilm, in dem sich ein widerstandskämpfender deutscher Genosse konsequent fluchend durch die Handlung ekelte). Die alte Dame hatte meine „unwegsame“ Muttersprache als Kind gelernt, von ihrem Kindermädchen und von der (selbstverständlich böhmischen) Köchin. Wer nämlich in der alten Monarchie auf sich hielt, der MUSSTE eine echte böhmische Köchin haben. Heutzutage gibt es nunmehr wenige wirklich noble  Familien – und vor allem gibt es keine böhmischen Köchinnen mehr. Vor einigen Jahren bewunderte (und beneidete) eine Professorin an der Handelsakademie meinen vornehmen Lebensstil als sie von unserer Tochter erfuhr, dass wir uns immer noch den schieren Luxus einer böhmischen Köchin leisten – ganz wie zu Zeiten weiland Seiner Majestät. Mein Früchtchen Karolin’ hatte „ganz vergessen“ zu erwähnen, dass die famose böhmische Köchin ihre eigene Mutter sei.

Der Sohn von Frau Henisch, ein anerkannter österreichischer  Bildhauer, hatte einen Lehrstuhl an der Frankfurter Universität inne und die alte Dame fühlte sich in ihrer großen Wohnung sehr einsam.  Deshalb vermietete sie zwei Zimmer an allein stehende Frauen. Das eine Zimmer bewohnte ich, das andere eine gebleichte, etwas ordinär aussehende Blondine in den Vierzigern.  Ich war damals 22 Jahre jung und mit meinen 46 kg, bei einer Lebensgröße von 153 cm, war ich schlicht gesagt - eine Miniatur.  Die Blondine dagegen war ein gestandenes Weibsbild, ein Meter achtzig groß, mit einem imposant prallen Busen. Mein Gehalt reichte zu jener Zeit aus um die Miete zu bezahlen und es blieben mir noch etwa 500 Schilling übrig. Dämlich wie ich war, verließ ich Prag Hals über Kopf nur mit dem Gewand, das ich gerade am Leibe trug, dafür aber mit einer Reisetasche vollgepackt mit Dingen, die ein junger Mensch unbedingt zum Leben braucht (z.B. ein dickes Buch über Francois Villon, ein noch dickeres Band Komödien von Goldoni, Ansichten des  Monsieur Sartre, Lebenslauf von Leonardo da Vinci in zwei Bändern ....). Ich war  jung, fröhlich und ärmer als die Kirchenmaus, trank heißes Wasser aus der Wasserleitung um wenigstes etwas warmes in den Magen zu bekommen und ernährte mich von halben Jausen, die sich ein junger Arbeitskollege von dem Mund absparte (er merkte als einziger, dass ich nichts zum Essen habe). 


Copyright Nadia Meißnitzer


Diese Blondine,  Strasser hieß sie, kam eines Tages zu mir und brachte mir hübsche Unterwäsche. Mit Händen und Füßen versuchte sie mir verständlich zu machen, dass sie diese Wäsche im Abverkauf erstand, leider passen ihr die guten Stücke nicht und sie könne es auch nicht mehr umtauschen. Zum besseren Verständnis führte sie mir eine kleine Pantomime vor indem sie  die Hände rang und die Augen zur Decke verdrehte, deutete auf den Kassenbon auf dem ein großer roter Stempel aufgedruckt war, schüttelte verneinend den Kopf, tat als ob sie die Wäsche nun in den Mistkübel werfen würde, drückte es mir anschließend in die Hand und machte Bitte-Bitte - bis ich endlich begriff, dass sie sich beim Kauf fatal vergriffen hatte. Es ging mir aber nicht ein, dass diese Walküre so borniert wäre, eine Kleidergröße 36 zu kaufen wo sie mindestens 48 hätte haben müssen. Sie tat mir richtig leid, also nahm ich die guten Stücke dankend entgegen denn es wäre wirklich Schade sie wegzuwerfen. Frau Strasser bedankte sich überschwänglich – und kaufte weiterhin kopflos ein. Auf dieser Weise kam ich bald zu einer ansehnlichen Garderobe und lernte neue deutsche Wörter: „Abverkauf – kein Umtausch!“ Ich bot mich einige Male an, sie beim Einkaufen zu beraten, aber es klappte  niemals, da sie just nur  dann Zeit hatte wenn ich arbeiten war. Einmal in der Woche klopfte sie an meiner Zimmertür, weinend, die Schminke über das ganze Gesicht verschmiert. Sie hatte groß aufgekocht und ihr Freund ließ sie wieder einmal sitzen. Ich hatte Mitleid und leistete ihr bei Tisch Gesellschaft, regelmäßig, Woche für Woche. Ehrlich gesagt: dank Frau Strasser habe ich mich damals  wenigstens einmal in der Woche ordentlich satt essen können. Sie kochte wirklich ausgezeichnet. Mit meinem spärlichen Wortschatz versuchte ich ihr klarzumachen, dass sie dem Armleuchter den Laufpass geben sollte, aber sie schniefte nur, schaute mir beim Schlemmen zu und sagte immer wieder „Ach Fräulein, sie sind so lieb zu mir“.

Eines Tages zerstritt ich mich mit der Zimmerwirtin (ich war etwas hochnäsig und fühlte mich wegen einer Lappalie todbeleidigt), packte meine sieben Sachen und zog auf der Stelle aus.  Ein Jahr später ging ich in die Schweiz, drei Jahre darauf heiratete ich, kehrte nach Wien zurück und unsere Tochter Karolin’ kam zur Welt (erstaunlicherweise klappte es in dieser Reihenfolge, obwohl es bis zum letzten Moment nicht ganz klar war, was zuerst kommt und was danach). Wir mieteten uns eine Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk und da fiel mir ein, dass Frau Henisch ganz in der Nähe wohnen müsse. Sie lebte noch, ich rief sie an und sie lud mich zur Jause ein. Sie bewunderte mein Baby, wir plauderten über alles Mögliche und auf einmal fragte sie mich: „kannst du dich noch an die Frau Strasser erinnern?“  Meine Güte, wie hätte ich diese dumme Pute jemals vergessen können! Bei ihrer erstaunlichen Treffsicherheit, stets die falsche Kleidungsgröße zu erwischen, war es ein Wunder, dass sie nicht im Zeitungspapier eingewickelt herumging. Außerdem gehörte auch einiges an Blauäugigkeit dazu um Woche für Woche Leckerbissen zu kochen für irgendeinen Trampel, der sich kein einziges Mal blicken ließ.  Ich sagte es Frau Henisch und sie erzählte mir, dass sie vor einiger Zeit in der Volksoper gewesen ist (die Strasser wohnte längst nicht mehr bei ihr) und nach der Vorstellung auf dem Gehsteig auf ihren Sohn wartete, der sie mit dem Wagen abholen sollte. Auf einmal klopfte ihr jemand von hinten auf die Schulter. Sie drehte sich um und sah die Strasser vor sich. Frau Henisch grüßte sie und fragte höflich, wie ihr die Operette gefallen hat. Die Strasser bekam einen mittleren Lachkrampf und erklärte, dass sie keineswegs in der Oper war sondern gleich um die Ecke ihren Rayon hätte,  wo sie „das Pflaster tritt“ und auf Kundschaft wartet. Die Frau Strasser war eben eine waschechte Straßendirne.  Sie plauderten ein Weilchen darüber, was es neues gibt, wie „das Geschäft“ so läuft und plötzlich fragte Frau Strasser, ob Frau Henisch wisse, was aus dem vornehmen Fräulein geworden ist, dass vor Jahren bei ihr gewohnt hat. Frau Strasser erinnerte sich, wie arm das feine Fräulein gewesen ist, nichts anzuziehen und auch nichts zum essen hatte es, und so musste sie sich um das arme Ding kümmern, damit das Fräulein nicht so sehr leiden müsse. Sie war besonders stolz darauf, damals eine Möglichkeit gefunden zu haben um das Mädel anzuziehen und zu füttern - ohne es zu kränken. Solche jungen Damen aus guten Familien würden doch keine Geschenke von Fremden annehmen, geschweige denn von einer alten Hure!

Als ich diese Geschichte hörte, fuhren wir mit meinem Mann jene Gegend einige Male auf und ab (ich wollte mich nachträglich bedanken), aber ich traf Frau Strasser nie wieder. Entweder habe ich sie in ihrem „Arbeitsoutfit“ nicht erkannt oder aber sie hat sich mittlerweile zur Ruhe gesetzt.

Ein Nachsatz: als ich in Zürich lebte, wohnte ich u.a. in der Dufourstrasse wo direkt vor meinem Haus die Schönen der Nacht ihren Standplatz hatten. Ich pflegte damals bei den Damen Nowak Canasta zu spielen und kehrte hin und wieder sehr spät in der Nacht heim. Im Winter brachte ich den Mädchen heißen Tee in der Thermosflasche hinunter, im Sommer gekühlte Limonade. Während sie tranken, unterhielten sie mich mit Geschichten aus ihrem Metier. Es waren durch die Bank sehr hübsche und gebildete Mädels.

Donnerstag, 3. Februar 2011

Zitate von Antoine de Saint-Exupéry

frz. Humanist, Romancier, Erzähler u. Flieger
1900 - 1944



Wahre Liebe ist die,
die keinen Gegenwert erwartet...




Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar...




Ein Lächeln ist oft das Wesentliche...
Man wird mit einem Lächeln belohnt oder belebt...




Die Intelligenz verdirbt den Sinn für das Wesentliche...




Man muss lange leben,
um ein Mensch zu werden...




Die einzige Hoffnung auf Freude liegt in den
menschlichen Beziehungen...




Bejahe den Tag, wie er Dir geschenkt wird,
statt Dich am Unwiederbringlichen zu stoßen...




Liebe besteht nicht darin, dass man einander ansieht,
sondern dass man in die gleiche Richtung sieht...




Liebe besteht nicht darin, dass man einander ansieht,
sondern dass man in die gleiche Richtung sieht...

Sonntag, 23. Januar 2011

Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg

Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, geboren um 1400 in Mainz und ebenfalls in Mainz am 03. Februar 1468 gestorben, gilt als Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Metallettern (Mobilletterndruck) in Europa und der Druckerpresse.

Aus seinem Hauptwerk, der Guttenberg-Bibel, möchte ich einmal die frühesten Zeugnisse für Gutenbergs Erfinderschaft nieder schreiben.

1458 - (zehn Jahre vor Gutenbergs Tod) schickte der französische König Karl VII einen Stempelschneider seiner Münze nach Mainz um dort dem Chevalier Jean Gutenberg die Vervielfältigung von Texten mittels Metallpunzen abzuschauen.

1460 - erklärt die Schlußschrift des Meinzer Katholicondruckes in betont feierlicher Form, dass die Buchdruckerkunst in Mainz erfunden wurde.

1461 - berichtet die Mainzer Chronik, dass Johann Gutenberg der erste Drucker in Mainz war.

1468 - sagt die Schlußschrift eines Schöfferdruckers, der drei Monate nach Gutenbergs Tod ersschien, dass Johannes Gutenberg und Johannes Fust als erste in Mainz gedruckt hätten, da Fust nur der Geldgeber war, spricht dieses Zeugnis für die Erfinderschaft Gutenbergs.

1470 - erklärt der Pariser Professor Guillaume Fichet in einem Brief vom 01. Januar, dass ein gewisser Johannes, mit dem Beinahmen Gutenberg, die Druckkunst erfunden habe.

Es gibt natürlich noch jede Menge dieser Niederschriften und auch einiges mehr. Für mich ist es immer noch faszinierend.

Paul Gerhard

Wolfgang Trillhaas, geb. am 31. Oktober 1903 in Nürnberg und gestorben am 24. April 1995 in Göttingen, Ordinarius für Praktische Theologie und Systhematik in Erlangen und Göttingen, ältester Sohn eines Millitärpfarrers und einer Lehrerin, schrieb einmal über den evangelisch-lutherischen Theologen und einen der bedeutensten Kinderlied-Dichter Paul Gerhard, geb. 12. März 1607 in Gräfenberg, gest. am 27. Mai 1676 in Lübben/ Spreewald.

Daraus entstanden einige Reime, die von Paul Gerhard durch Wolfgang Trillhaas aufgezeichnet wurden. Z. B. hat Paul Gerhard als Kind des Barockzeitalters mit den Reimen nur so gespielt.

Das Morgenlied 

Die güldne Sonne
Voll Freud und Wonne
Bringt unsern Grenzen
Mit ihrem Glünzen
Ein herzerquickendes liebliches Licht.
Mein Haupt und Glieder,
Die lagen darnieder.
Aber nun steh ich,
Bin munter und fröhlich,
Schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

Das Christ-Wiegen-Lied - Alle die ihr Gott zu Ehren - enthält in etwa Verse wie diesen:

Schlaf, o bester aller Güter,
Schlaf, o Perle der Gemüter,
Eya, Eya.
Schlaf, mein Trost, dem nichts zu gleichen,
Milch und Honig muß dir weichen;
Schlaf, du edler Herzensgast!
Eya, Eya, schlaf und ruhe,
Schlaf, schlaf, werte Lilienblum!

Es gibt sehr viele Aufzeichnungen von Werken des Paul Gerhard und die Werke des Schreibers Wolfgang Trillhaas finden sich in der deutschen Nationalbibliothek wieder.

Gesundheit - Werde ich nun alt oder was???

Das Jahr 2004 ist mir wirklich nicht gelungen. Ich hatte geradezu extravagante Gesundheitsprobleme und zu allem Überdruss haben im Laufe des Jahres drei verschiedene Ärzte meinen Gesundheitszustand „fachlich“ beurteilt mit: „Sie sind eben alt, also was wollen Sie noch eigentlich!?“ Es stimmte mich keineswegs nachdenklich, es brachte mich auf die Palme. Unwirsch wies ich jedes Mal darauf hin, dass ich eben gesund sein will und äußerte lautstark meine Verwunderung darüber, dass es den Ärzten nicht einleuchtet warum ich mich mit diesem Anliegen ausgerechnet an sie wende. Der Reihe nach hatte ich Flüssigkeit hinter dem Trommelfell, Riss in der Hornhaut am linken Auge und arge Verspannungen des Schulter-Nacken-Gürtels. Ich muss nicht explizit erwähnen, dass dies meine Lebensfreude – wenn auch vorübergehend – ziemlich eingedämmt hatte.

Die HNO-Ärztin diagnostizierte das Wasser hinter dem Trommelfell (mein Schädel drohte zu zerspringen jedes Mal, wenn ich gähnte, nieste, hustete oder mich schneuzen musste. Leider war dieses Malheur die Begleiterscheinung einer dramatischen Erkältung und zwar das volle Programm!), gab sich mit ihrer Feststellung zufrieden, merkte scherzhaft an, dass der Schnupfen mit Behandlung etwa 14 Tage lang dauert, ohne Behandlung dann rund 2 Wochen und fügte neckisch hinzu, ich hätte ohnehin genug Humor um dies ohne gröberen seelischen Schäden zu überstehen.

Die Augenärztin wollte mir nicht glauben, dass mir weder ein Splitter ins Auge geflogen war noch Metallspäne oder Ähnliches und bestand darauf, dass es - anhand der Größe der Hornhautverletzung – ein grober Arbeitsunfall gewesen sein musste. Als ich ihr sagte, dass mir bei meinem Beruf höchstens ein „i“ bzw. ein spitzes Rufzeichen ins Auge hätte geraten können, schüttelte sie nur den Kopf und lehnte jede weitere Unterredung mit mir ab. Zwei Tage später bekam ich per Post von der Krankenkasse einen Fragebogen, welches ich tunlichst auszufüllen und zurück zu senden hatte. Die Krankenkasse verlangte von mir die Auskunft über den Tathergang und wollte wissen, ob der vermeintliche Unfall in Trunkenheit, beim Raufhandel oder unter Drogeneinfluss zustande kam.

Das Auge tat verdammt weh und ich war besonders mies gelaunt, da mir die Augenärztin mit dem Augenverband gleich das halbe Gesicht zugeklebt hatte, also beschloss ich, meinen Unmut abzureagieren. Zu diesem Zweck suchte ich die Krankenkasse auf. Ich warf den Beamten lautstark vor, sie würden meine (übrigens nicht gerade unbedeutenden und auf jeden Fall unfreiwilligen) Beiträge unverantwortlich verschwenden für absolut sinnlose administrative Tätigkeiten mit ehrenrührigem Charakter und verlangte vehement eine verbindliche Auskunft darüber, wie die Krankenkasse mit den Geldern der Versicherten wirtschaftet. Nachdem ich mich redlich ausgetobt hatte, verließ ich die, vor Verlegenheit schwitzenden, Beamten mit einer deutlich besseren Laune.

Die letzten zwei Monate des Jahres waren überaus anstrengend, nicht zuletzt deshalb, da das Auftragsvolumen, das etwa seit April stetig anstieg (infolge einer nicht vorausgesehener und teilweise durch die Fachleute ignorierten bzw. abgestrittenen Konjunktur) gegen Jahresende geradezu eskalierte. Aufgrund meiner übersteigerten Arbeitsethik hat sich die Verspannung meiner Rückenmuskulatur in einen steifen Panzer verwandelt. Zu allem Unglück hat mein Boss eine gründliche Renovierung unseres Büros beschlossen und daher unsere Arbeitsstätte kurzerhand in eine Baustelle verwandelt, dies obwohl der übliche Endspurt gegen Jahresende bereits voll im Gange war. Na klar.

Ich landete samt meinem Schreibtisch und ganzen Bergen von Arbeitsunterlagen in einer Ecke des Chefbüros. Mein Buckel wurde nur noch schlimmer als ich mit dem, zwischen Schulter und Ohr eingeklemmten Telefonhörer, unterm Schreibtisch herumkrabbelte und versuchte aus den eingestürzten Haufen die benötigten Mäppchen herauszufischen. Um dem Übel entgegen zu wirken hetzte ich den ganzen Dezember Abend für Abend zur Physiotherapie. Und an dieser Stelle kann ich mit einer lustigen Geschichte aufwarten: die Tochter einer Bekannten aus Prag besuchte zu dieser Zeit irgendein Seminar an der Wiener Uni und brachte mir ein tschechisches Buch, von dem sie meinte, es könnte mir gefallen.

Das Buch hatte in der Tat einen durchaus interessanten Titel: “Das Handbuch für ungehorsame Weiber“. Ich versprach dem Mädel es schnell zu lesen und mein Urteil darüber abzugeben. Gleich nach den ersten Seiten stellte ich fest, dass mir das Buch missfällt. Es war nur bedingt witzig, die Autorin hat die wenigen guten Ideen buchstäblich erschlagen mit absolut unnötigem und fallweise ziemlich peinlichem Gequassel. Schade.

Dennoch: versprochen ist versprochen und so beschloss ich, das Buch bis zum bitteren Ende zu lesen um ein fundiertes Kommentar abgeben zu können. Allerdings wollte ich meine spärliche Freizeit nicht mit der Lektüre eines miserablen Machwerkes vertrödeln, so mühte ich mich redlich durch die Seiten während meiner Behandlungen im physikalischen Institut, da hier von einem entspannten Genießen so oder so keine Rede sein konnte. Eines Abends saß ich dort, gestützt an meine Ellbogen, vor mir das aufgeschlagene Buch, hinter mir Herr Oudney, ein rabenschwarzer Kerl aus Sambia, der meinen wehen Buckel gewissenhaft bearbeitete. Ich lese, Herr Oudney massiert, ich wende das Blatt und ein neues Kapitel kommt zum Vorschein, mit der Überschrift: DER PIMMEL. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass es Zufälle gibt, die gibt es gar nicht... Wenn es der Teufel will, hat der schwarze Bursche irgendwann in Prag studiert, perfekt tschechisch spricht, mir jetzt über die Schulter schaut und denkt, ich wäre eine lüsterne alte Schachtel. Blitzschnell drehte ich das Buch mit dem Rücken nach oben und prompt hörte ich den Kerl hinter mir im einwandfreien Tschechisch fragen: „na, und gibt es in Ihrem Buch auch brauchbare Ratschläge, Frau Meissnitzer?“

Herr Oudney hat nicht in Prag sondern an der technischen Universität in Brünn studiert und lebte dort gleich siebzehn Jahre lang! Wir plauderten nun miteinander tschechisch worauf sich der Nachbar aus der Nebenkoje, no naa - tschechisch, meldete „oh, Herr Oudney, ich hatte keine Ahnung, dass sie auch tschechisch sprechen!“ Es gibt also wirklich Zufälle, die gibt es gar nicht.... und die Welt ist ein Dorf!

Im folgenden Jahr steigerte sich mein Pech weiter. Am 3. Jänner marschierte ich einigermaßen erholt ins Büro. Am nächsten Tag schleppte ich mich bereits mühsam hin, gab aber am frühen Nachmittag auf, am Abend hatte ich schon hohes Fieber und eine ausgewachsene Grippe. Vermutlich habe ich mich am Neujahr von meinem Sohn angesteckt. Die Grippe war im Großen und Ganzen eine fade Sache: Fieber, Schüttelfrost, sämtliche Knochen taten mir weh (bei dieser Gelegenheit musste ich wieder einmal feststellen, dass ich unnötig viele Knochen im Leib habe!) – also eine hundsordinäre Grippe – doch extrem anhänglich.

Wir hielten es miteinander geschlagene 14 Tage aus, bis die Grippe zu meiner jungen Kollegin Gerli überwechselte. Sie rief mich am Sonntagabend an und fragte weinerlich nach, ob ich am Montag kommen könnte, da sie selbst soeben zu sterben gedenke. Am Montag pilgerte ich gutgelaunt ins Büro, wo mich ein absolutes Chaos und Lawinen von Papierkram erwarteten. Ich verbrachte den ganzen Tag mit Sortieren in: wichtig – noch wichtiger – verdammt wichtig – Katastrophe im Anmarsch - und ...... nicht mehr wichtig. Ich schuftete bis die Fetzen flogen denn ich musste selbstverständlich auch die „dahinsiechende“ Kollegin Gerli ersetzen.

Am Donnerstag war mein linkes Auge so rot wie beim Angorakarnickel, am Nachmittag mutierte es zu einem schmalen Schlitz, sodass mein Chef seine Hände rang und mich heim schicken wollte. Ich verharrte dennoch bis zum Abend, ich wollte die Heimfahrt beim Tageslicht und somit etwaige Polizeikontrolle vermeiden.

Abgesehen davon, dass auf meinem Trampelpfad abends kaum noch Verkehr herrscht. Ich dachte, ich hätte meine Grippe nicht restlos auskuriert und mir dadurch eine Bindehautentzündung zugezogen. Am Freitag war das Auge eine Spur besser und da freitags Frühschluss ist, fuhr ich zu Mittag heim und schnurstracks ins Bett. Am nächsten Tag, unterwegs zum Supermarkt, spürte ich plötzlich einen spitzen Stich im linken Auge und beide Augen begannen zu tränen. Ich erledigte meinen Einkauf innerhalb von 12 Minuten, das linke Auge brannte inzwischen teuflisch.

Den Gedanken, meinen Mann per Handy zu bitten mich abzuholen, verwarf ich als ich mir vorstellte wie der Sir geschlagene 5 Minuten brauchen würde um den Hintern und in weiterer Folge den Telefonhörer zu heben, 8 Minuten um sich an- und loszuziehen und weitere 5 Minuten bis er endlich eintrödelt. Ich beschloss heim-zufahren mit dem, dass ich sowieso innerhalb von 5 Minuten zu Hause sein werde. Die Karre ließ ich vor dem Haus stehen und stolperte blindlings zur Haustür, ich schlotterte bereits vor Schmerzen so stark, dass ich nicht mehr mit dem Schlüssel ins Schloss traf. Ich klopfte ans Fenster, mein Mann und mein Schwiegersohn öffneten die Tür. Ich klagte weinerlich über mein jähes Erblinden und mein Mann führte mich zum nächstbesten Fauteuil während unser Schwiegersohn den Notarzt anrief.

Kurz darauf kam Chris mit der tollen Empfehlung des Notarztes, man solle mich schnurstracks nach Lainz bringen. Für die Nichtwiener muss ich erläutern, dass das Krankenhaus Lainz ein großes Areal ist, in dem auch die Geriatrieabteilung untergebracht ist. Vor einigen Jahren sorgte just die Geriatrie Lainz für fette Schlagzeilen als dort plötzlich mehrere Patienten (sog. aussichtslose Fälle) „plötzlich“ verstarben. Wie die Untersuchungen schließlich ergaben, sorgte für die überstürzten Abgänge ins Jenseits das angeblich überforderte Pflegepersonal. Es war damals ein Riesenskandal und seither heißt dieses Krankenhaus offiziell nicht mehr Lainz sondern Hietzing. Als ich es hörte, jaulte ich prompt auf, dass es eine ausgezeichnete Idee sei, da Lainz – wie hinlänglich bekannt ist – eine einschlägige Praxis in Liquidierung alter Schabracken vorweisen kann. Chris stockte und erklärte mir, dass es keineswegs so gemeint war, Lainz wäre das nächstgelegene Krankenhaus, das über eine perfekt ausgestattete Augenambulanz verfügt.

Es war mir im Grunde piepegal wie es gemeint war. Ich zitterte vor Schmerzen wie Espenlaub und wünschte auf der Stelle entsorgt zu werden. Egal wie, Hauptsache sofort! Meine Tochter fuhr mich hin. In der Augenambulanz stellte man einen großen Riss in der Hornhaut fest, der Arzt schmierte mir allerlei Salben ins Auge, verband mir das halbe Gesicht und bestellte mich zur Kontrolle. Am folgenden Tag stellte sich heraus, dass ich zu allem Unglück von dem antiallergischen Pflaster einen Allergieausschlag bekam und das Epithel (die oberste Schicht der Hornhaut - bis zu diesem Tag ahnte ich nicht einmal, dass so etwas überhaupt existiert und jetzt kann ich es sogar lateinisch sagen!) ausgefranst ist. Bei dem Versuch das Epithel zu versäubern damit es wieder zusammenwachsen kann, löste sich wider Erwarten das komplette lateinische Zeug vom Auge. Der Arzt versorgte mich mit starken Schmerz- und Schlaftabletten und meinte, es wird teuflisch, aber wirklich teuflisch wehtun sobald die Anästhesie nachlässt.

Die Betäubung sollte etwa 45 Minuten anhalten und wir rasten heim damit ich noch die Wäsche waschen kann bevor die angekündigte Hölle loslegt. Tags darauf klagte ich dem Arzt, dass ich auf seine Anweisung die halbe Apotheke runterwürgte, ohne dass es geholfen hätte worauf er meinte, dass ich mich verdammt wundern täte, was ich ohne den Drogenkonsum erlebt hätte. Bis Mittwoch hätte ich glatt aus der Haut fahren können, sogar aus meinen fix eingebauten Fettpolstern. Der Gang zum Klo wurde zu einem Halbtagsausflug. Ich schob mich mit geschlossenen Augen, mit den Armen in der Luft herumfuchtelnd, den Teppichrand entlang - aus Angst das gesunde Auge offen zu halten damit sich das Lädierte nicht mitbewegt. Tage wie Nächte verbrachte ich abwechselnd im Fauteuil oder am Häusl wo ich jeweils mehrere Stunden lang den Mut für den nächsten Gang sammeln musste.

Trübsinnig überlegte ich, wen und was ich noch hätte verfluchen können, doch es fiel mir nichts brauchbares ein – Arafat verstarb mir, Bush ist zu zäh und im Übrigen habe ich letztes Jahr sowieso alles und jeden verflucht, was oder wer einigermaßen dazu taugten verflucht zu werden. Am liebsten hätte ich geheult wie ein Schlosshund, ließ es aber lieber bleiben, da ich mich davor fürchtete, was die salzigen Tränen in der offenen Wunde anrichten würden. Ich gab mich also mit einem simplen Schüttelfrost zufrieden und beschränkte meine verbalen Äußerungen auf gedämmtes „haaaaaaaa“ bzw. „iiiiiiiiiih“. Bei der Kontrolle am Mittwoch bekam ich einen neuen Verband in Form einer Kontaktlinse, bis zum Abend beruhigte sich das Auge. Ich ebenso. Die Tatsache, dass ich einen Schmarr’n sehen konnte war nunmehr eine Kleinigkeit. Die Iris war so gut wie verschwunden, die Pupille dagegen so riesig, dass es den Anschein hatte, ich wäre vollgepumpt mit Drogen.

Bis Ende der Woche war das Malheur vorbei, die Wunde hat sich geschlossen, ein funkelnagelneues Epithel nachgewachsen und die Iris nahm nach und nach zu, wie der Mond, jeden Tag ein Drittel Millimeter mehr. Montags darauf, es war mittlerweile der 31.01. – ging ich fröhlich ins Büro - genauer gesagt: ich hatte es zumindest vor. Ich verließ das Haus, sperrte hinter mir zu, machte drei Schritte und blieb stehen um den Hausschlüssel in der Handtasche zu verstauen. Ich machte die Tasche auf und fiel plötzlich seitlich um wie ein Mehlsack. Geschlagene zehn Minuten lag ich flach auf dem Boden und überlegte, ob ich doch nicht plärren sollte – jetzt wo ich mir den Luxus salziger Tränen endlich leisten könnte.

Doch dann verwarf ich diese verlockende Idee, es war bitterkalt, ein scharfer Nordwind wehte und die Gefahr, dass die angefrorenen Tränenflüsse meine zarte Pfirsichhaut beschädigen würden, war einfach zu groß. Allerdings konnte ich nicht mehr aufstehen. Ich kroch auf drei Extremitäten zum Wagen und fuhr zur Werkstätte um den Servicetermin wahrzunehmen. Von dort fuhr mich der Automechaniker Wolfi in mein nahegelegenes Büro. Ich hantelte mich zu meinem Schreibtisch, begleitet von Anteilnahme der ganzen Firma und den obligaten Fragen „um Gotteschristiwillen, was machen Sie denn?“ und verblüffenden Feststellungen „gütiger Gott, Sie machen aber Sachen!“

Ich posaunte herum, dass ich auf einer Eisplatte ausgerutscht bin um nicht den Anschein zu erwecken, ich wäre schon dermaßen vergreist, dass ich nicht einmal mehr auf eigenen Füßen stehen kann. Am Nachmittag wurden die Schmerzen zu heftig, daher rief ich meinen Mann an mit der Bitte, mich im Büro abzuholen und ins Unfallkrankenhaus zu verfrachten. Der diensthabende Arzt urteilte prompt: die Ursache wäre primär altersbedingt, also eine klassische Abnützung. Ich verbat mir diese Anschuldigung mit allem Nachruck.

Der Herr Doktor ließ ein Röntgenbild machen und entschuldigte sich hinterher mit der Feststellung, dass mein Knie innen jugendlicher aussieht als angenommen – ja jugendlicher sogar, als es in meinem Alter angebracht wäre. Was ich da wirklich habe wisse er allerdings nicht. Ich bekam Salben, Schmerzmittel, elastischen Verband und Krücken. Er meinte noch, wenn es sich bis Ende der Woche wieder „geben sollte“, dann wäre es vermutlich eine Prellung oder eine überdehnte Sehne. Widrigenfalls könnte es ein Riss im Meniskus sein und in diesem Fall müsste eine Tomografie gemacht werden, da man dies auf einem Röntgenbild nicht sehen kann.

Mit den Krücken tobte ich mich zwei Tage lang aus - bis ich sie im hohen Bogen in die Ecke warf. Dieses Behelf war lebensgefährlich. Mit solchem Gerät dürfte man eigentlich nicht ohne Waffenschein oder zumindest einer Art von Führerschein hantieren dürfen! Ich gefährdete meine Umgebung im Umkreis von 2 Metern und meine Befürchtung, ich würde mir damit auch die übrigen Extremitäten brechen, war durchaus begründet. Man möge sich nur vorstellen, was Mister Bean mit Krücken aufführen würde. Ich war unvergleichlich besser!

In weiterer Folge bewegte mich durch die Welt in einem 90° Winkel, angelehnt an alle erreichbaren Wände, die Treppe fuhr arschlinks hinunter und kroch auf Händen und einem Fuß wieder hinauf. Dann erinnerte ich mich an die Schulphysik und erarbeitete mir einen machbaren Fortbewegungsmodus - mittels Schaukeln + Vorfall. Es funktionierte recht gut und meine Mitmenschen schüttelten sich vor Lachen. Ein Gehsteigrand war mit dieser Methode allerdings nicht zu erklimmen. Ich wackelte tapfer zur Apotheke um mir die nächste Ration von Salben und Tabletten zu besorgen und scheiterte kläglich an diesem unerwarteten Hindernis.

Der von mir angesprochene junge Mann „lieber Herr, würden Sie mir bitte kurz Ihre Hand reichen?“ half mir zwar ohne mit der Wimper zu zucken, dachte aber offensichtlich ich wäre geistesgestört - er eilte davon ohne meinen Dank geschweige denn eine plausible Erklärung abzuwarten. Schließlich fiel mir ein magischer Spruch ein, den mir einmal meine Freundin Dagmar verriet. Nach einer missglückten Knieoperation wurde sie schon vor Jahrzehnten zum Krüppel, sie geht am Stock, manchmal mit Krücken und ab und zu auch gar nicht. Sie sagte mir, wenn die Not am höchsten ist, droht sie: „Beinchen, Beinchen, tragt mich – oder ich scheiß’ euch an!“ Und die Beinchen - wohlwissend, dass diese Drohung auch für einen Krüppel leicht in die Tat umzusetzen wäre - nehmen ohne weitere Mätzchen wieder ihren Dienst auf.

Mein Beinchen ließ sich erstaunlicher Weise ebenfalls „überreden“ – wenn auch mit Vorbehalt. Nach zehn Tagen konnte ich wieder auf diesem Bein stehen, meistens. Dann kam ich darauf, dass mich die Krankenkasse die ganze Zeit im Krankenstand wähnte. Man behauptete, dass ich in diesem Zustand partout nicht arbeitsfähig sein konnte, da ich keinesfalls ins Büro hätte gehen können. Ich gab den Beamten Recht und präzisierte, dass ich eben nicht hinGING sondern hinWACKELTE.

Daraufhin bezweifelte man ernsthaft meinen gesunden Verstand. Ich wies darauf hin, dass ich ein Problem mit meinem Knie hatte, nicht mit meinem Verstand, um den es hingegen bestens bestellt sei und dieser - zumindest für den Haus- und Bürogebrauch - völlig ausreichend wäre.

ANMERKUNG: Das Copyright liegt ganz alleine bei der Autorin.

Gespenster - von Nadia Meißnitzer - nach einer Idee von Irene Racek

Das Verlies war buchstäblich überfüllt. Überall, wo man nur hinsah, standen Gespenster, saßen Gespenster, lehnten Gespenster, sogar von der Decke hingen welche.

Es war die Gespensterjahresversammlung. Eine traurige Versammlung allerdings war es heuer!


„Gespensterbrüder!!“ sprach das ehrwürdige Altgespenst Harras von Modergrub zu Henkerthal feierlich. „Freunde! Seit Gespenstergedenken leben wir mit den Menschen auf dieser Erde! Des Menschen ist der Tag – uns jedoch gehört die Nacht!“

„Die Geheimnisvolle! Die Wundersame!“ rief das Gespenst Valentin Maria Floribundus, das heimlich Gedichte schrieb und alle Gespenster riefen „Bravo!“ und „So ist es!“

„Doch wehe!“ fuhr der ehrwürdige Harras fort „die Menschen sind nun in den Krieg gezogen. Früher arbeiteten sie und sangen dazu. Jetzt kämpfen sie gegeneinander und stören unsere Tagesruh’ mit ihrem Kriegsgeheul. Sogar in der Nacht, die ja uns gehört, machen sie Höllenlärm mit ihren Kriegsmaschinen. Sie fürchten nicht mehr UNS – sie fürchten EINANDER!“ Die Gespenster schüttelten die Köpfe und riefen „Schande!“ und „Weh! Dreimal weh!“ oder einfach nur „BUUUUUH!“

„Wenn sich die Menschen so benehmen, als ob sie alleine auf Erden wären, werden sie eines Tages wirklich alleine bleiben!“

So beschlossen die Gespenster, damals vor vielen, vielen Jahren, die Erde zu verlassen. Still und heimlich zogen sie durch Ritzen, Fugen und Erdlöcher in die Unterwelt. Kein einziges Gespenst blieb auf der Erde zurück. Kein einziges? GAR KEINES?

Als die Gespenster noch unter den Menschen lebten, zog ein junger Poltergeist namens Franz Haubrand Krause durch die Lande, auf der Suche nach einer Unterkunft. Er ließ sich auf dem Schloss des Grafen Maxenzio Vincente Mascherini nieder, denn das wundervoll modrig duftende und herrlich feuchte Kellerverlies hat es ihm angetan und auch der gräfliche Weinkeller war ganz und gar nach seinem Geschmack. Der Graf selbst, ein recht sonderbarer Geselle, schloss Franz Hadubrand Krause sofort ins Herz und so spuckten sie bald gemeinsam durch die langen Flure des Schlosses und tranken hinterher miteinander den gräflichen Wein im Schlosskeller. „Prost Franzi!“ „Zum Wohle Maxi!“ Nachtein nachtaus.

Als der Krieg ausbrach, entschloss sich Graf Maxenzio, der Krieg, Gewalt und Unrecht über alles verabscheute, zu fliehen. Er wollte weit weit weg, so weit wie nur möglich, er wollte nach Amerika auswandern. Doch Franz fürchtete sich vor dem großen Wasser, das es zu überqueren galt und daher trennten sich die Wege unserer beiden Freunde.

In dieser letzten Nacht saßen sie traurig in ihrem Weinkeller und tranken das allerletzte Mal miteinander. Und weil sie so besonders traurig waren, tranken sie auch besonders viel auf den besonders großen Kummer. Schließlich schneuzte sich Graf Maxenzio ausgiebig und erklärte, es sei ihm etwas ins Auge gefallen. Er wischte sich die Augen, sagte „Oh Franzi, oh teurer Freund, mein Gedanke wird für ewig bei dir weilen!“, schwang sich aufs Pferd und trabte davon. Franz Hadubrand dagegen heulte ungeniert wie dreizehn Schlosshunde und dreizehn Werwölfe zusammen und als der Graf mit seinem Pferd nur noch ein Pünktchen am Horizont waren und dann ganz verschwanden, ging er in den Weinkeller zurück und trank noch ein Weilchen, mutterseelenallein mit seinem Kummer.

So passierte es, dass er die Gespensterjahresversammlung verschlief. Er schlief einen wahrhaftigen Gespensterschlaf, der derart fest und tief war, dass er glatt zwei Jahrhunderte dauerte und noch ein paar Dutzend Jährchen dazu.

In einer Nacht wachte Franz auf. Er streckte sich und reckte sich, hüstelte und räusperte sich. „Uaaaaaaaaaaah-uahahahaaaaaaaaa!“ Es gelang ihm in der Tat ein fabelhaftes Werwolfsgejaule und er war sehr zufrieden. Er entschloss sich, die Schlossgänge mit einem Schwung durchzufegen und wählte dazu ein eindrucksvolles Kettengerassel als Begleitmusik. Er stutzte ein wenig, als er den Stiegenaufgang nicht fand. Die Kellerstiege war zugeschüttet. Doch das störte ihn nicht sonderlich, er schwebte einfach durch die Ritzen hinauf. Zu seiner Überraschung befand er sich gleich unter freiem Himmel.

Die Sterne leuchteten schwach, leichte Nabelschwaden zogen vorüber und in der Ferne sang ein Uhu das alte Loblied der Geister. Der Mond beleuchtete mit seinem fahlen Licht die Schlossruine.  Von dem herrlichen Schloss des Grafen Maxenzio blieb nur noch eine Ruine übrig. Franz Hadubrand gefiel diese Ruine auch recht gut, aber die Erinnerung an seinen Freund Maxi stimmte ihn traurig. Er hüpfte ein bisschen hin und her, aber es machte ihm keine Freude so alleine für sich herumzuspuken.
Ein feines Spinnennetz schwebte durch die Lüfte, besät mit winzigen Tröpfchen, die wie Diamanten glitzerten. Franz fing es auf, schlug es lässig um seinen Hals und derart aufgeputzt, machte er sich auf die Suche nach einem Gespensterbruder.

Oder wenigstens nach einem Menschen.

Er flog, er schwebte und ließ sich vom Nachtwind treiben. In der Früh, sehr zeitig noch, sah er in der Ferne eine merkwürdige Stadt. Seltsame riesige Häuser ragten bis zu den Wolken. Er war sich gar nicht sicher, ob es überhaupt Häuser waren, denn sie sahen ganz anders aus als jene Häuser, die er kannte. Sie hatten weder Türmchen noch Wasserspeier, auch keine geschwungenen Dächer mit Schornsteinen. Sie waren glatt und nackt wie die Gipfel hoher Berge. Aber sie hatten unzählige Fenster, also waren es doch Häuser.

Franz war nicht sonderlich erstaunt darüber, denn er wusste, dass die Menschen eigenartig sind und seltsame Dinge tun – ganz anders als die Geister.

Da die Sonne bald aufgehen sollte, verkroch er sich in einer bequemen Baumkrone und schlief sogleich ein. Am späten Nachmittag wachte er auf und beschloss, die Menschenstadt zu erkunden.

Mit einigen Siebenmeilen-Schritten in den Wolken war er bald über der Stadt. Er sah hinunter auf  die Straße und suchte vergeblich nach vertrauten, von Pferden gezogenen Kutschen und Droschken. Er sah unten Menschen, die in großen Scharen in die eine oder andere Richtung liefen. Und alle starrten stumm vor sich hin.

Mitten auf der Straße standen in langen Reihen klobige Tiere. Franz hatte solche Tiere noch nie gesehen. Sie waren ganz nackt und bunt glänzend wie die Ostereier. Franz setzte sich auf ein, über die Straße gespanntes Seil, auf dem eine rote Laterne hing. Plötzlich brannte statt dem Roten ein grünes Feuer in der Laterne, die Tiere schreckten sich und rannten davon.

„Seltsam“, dachte Franz. „Es muss eine sehr verhexte Stadt sein!“ Da er für die Menschen unsichtbar war, ließ er sich vorsichtig auf die Straße nieder, direkt in die Menschenmenge. Er lief mit den Menschen und kam in ein Haus. Er blieb in einem großen Saal stehen. Auf einmal machte sich eine Wand auf! Einige Menschen liefen durch die Öffnung in eine kleine Höhle und die Wand schloss sich sofort hinter ihnen. Gleich neben ihm öffnete sich die Wand wieder und spuckte viele Menschen aus, die sich eiligst aus dem Staub machten. Franz beobachtete ein Weilchen das sonderbare Schauspiel, bekam aber bald Angst, dass auch ihn die Wand fressen würde und flüchtete Hals über Kopf aus dem gefährlichen Haus.

Er floh hoch hinauf in die Luft. Er zog es vor, erst bei Dunkelheit auf die Erde hinunter zu schweben. Es schien ihm sicherer, die Stadt in der Nacht durchzuwandeln, um nach einem schönen tiefen Keller Ausschau zu halten. So suchte er vorerst nach einer Baukrone, in der er die Dämmerung abwarten könnte, fand aber keine. Er stieg noch ein bisschen höher, da er hoffte, wenigstens ein gemütliches Dachkämmerlein mit Fledermäusen zu finden, und freute sich schon richtig auf eine nette Plauderei mit ihnen. Zu seiner Enttäuschung fand er rundherum gar kein richtiges Dach, geschweige denn ein Dachkämmerlein. Alle Häuser hörten abrupt auf, nur abertausende Drähte ragten oben aus den glatten Flächen heraus.

Verdrossen schwebte Franz hinunter bis er schließlich einen Fenstersims sah. Er setzte sich auf den Vorsprung. Er saß schon eine ganze Weile, als er plötzlich hinter sich Stimmen hörte. Er drehte sich um, schaute durch das Fenster ins Haus hinein und erschrak. Im Zimmer saßen auf dem Boden vier kleine Zauberer. Sie hielten in einer Kiste mit einer durchsichtigen Wand viele kleine Menschen gefangen. Die winzigen Menschen liefen in der Kiste herum, fuchtelten wild mit den Armen und die vier Zauberer lachten böse.

Franz fürchtete nichts so sehr, wie in einer Flasche oder Kiste eingesperrt zu werden. Das ist das schlimmste, was einem Geist passieren kann. Verschreckt flatterte er rasch davon.

Allmählich wurde es dunkel. Franz fand auf der Straße einen Kellereingang und eilte hinein. Unten im Keller standen einige Menschen. Manche unterhielten sich und lachten. Franz schickte sich an, sie zu belauschen, doch eher er sich den Menschen nähern konnte, kam aus einem Loch ein schrecklicher Drache mit funkelnden Augen. „Hiiiiiiiiiiiaaaaaah!“ Vor Schreck erstarrt, presste sich Franz gegen die Kellerwand. Das grauenhafte Ungeheuer hatte am Körper viele Mäuler. Es riss seine Mäuler auf und verschlang im Nu alle Menschen, die vorhin im Keller herumstanden. Dann verschwand es in einem anderen Loch wieder. Nur sein furchterregendes Zähnegeklapper hallte ihm nach. Franz rannte aus dem Keller hinaus und flog wieder so hoch hinauf wie nur konnte,  bis in die Wolken.

Die Wölkchen schaukelten sanft hin und her. Allmählich beruhigte sich Franz, er fühlte sich sogar wohl. Er hüpfte von einer Wolke zur anderen. Er trug ein paar Wölkchen zusammen und türmte sie übereinander. Auf der Milchstraße nahm er dann einen Anlauf und sprang in den Wolkenhaufen hinein. „Juhuuuuuuu!“ War das lustig! Franz schleppte alle Wolken an, die er am Himmel fand und baute sich ein wunderschönes Wolkenschloss. Es war fast genau so schön, wie das Schloss des Grafen Maxenzio. Franz war überglücklich. Vor lauter Freude fing er an zu spuken und die Sternchen lachten und klatschen Beifall.

Sein Glück jedoch währte nicht lange. Mit einem Donnergetöse raste ein riesiger stählerner Vogel durch sein Wolkenschloss und zerstörte es. Franz purzelte zur Erde. Es geschah so rasch, dass er den grauenhaften Feuervogel nicht einmal richtig gesehen hat. Verdutzt blieb Franz am Boden sitzen. Auf dem Beton eines trostlosen Hinterhofes. Ringsum ragten nur schmutzige hohe Mauern empor, in einer Ecke standen zwei Mistkübel, altes Gerümpel lag in der anderen.

„Uhuaaaaaaah!“ machte er missmutig.

„Uhuaaaaaaah!“ tönte  es von oben zurück.

Es kam von einem Fenster im zweiten Stock.

„Ein Gespenst! Ein Geist!“ rief Franz begeistert.

Er flatterte hinauf und schwebte durch das offene Fenster. Im Zimmer, auf einem Bettchen, saß ein Menschenkind und rieb sich die Augen. Genauso, wie Graf Maxenzio es tat bevor er fortging.

„Ist dir etwas ins Auge gefallen?“ fragte Franz besorgt.

„Nein“, sagte das Kind und rieb sich weiter die Augen. „Mir ist nichts ins Auge gefallen. Ich heule bloß.“

„Ich kann auch heulen“, sagte Franz stolz. „Meine Werwolfsheuler sind wirklich einmalig!“ brüstete er sich.

„Ich weine“, erklärte das Kind.

„Aha“, sagte Franz, der nicht so recht wusste, was es bedeutet. „Weinst du gerne? Kannst du wirklich gut weinen? Könntest du es mir auch beibringen?“ „Ich weine überhaupt nicht gerne“, sagte das Kind und zog die Nase auf. „Warum tust du es denn, wenn du nicht magst?“ fragte Franz verwundert.

„Weil ich muss, weil ich traurig bin, weil ich alleine bin“, antwortete das Kind und fing wieder zu weinen an. Franz flatterte ratlos um das weinende Kind herum. „So hör doch auf, ich schenke dir mein schönes Spinnennetz mit tausend Tautröpfchen, die wie Diamanten glitzern“, bot er dem Kind an. „Ich will kein Spinnennetz“, sagte das Kind unglücklich. „Ich bin sooo traurig. Ich bin sooo alleine. Niemand ist bei mir!“, schluchzte es. „Das ist nicht wahr!“ protestierte Franz. Schließlich bin ich bei dir!“

Das Kind hörte zu weinen auf und schaute Franz mit großen Augen an. „Wer bist denn du?“
„Ich bin Franz Hadubrand Krause, mit Verlaub, meines Zeichens Poltergeist“, stellte sich Franz feierlich vor und verneigte sich dreimal. „Ich kann heulen, ich kann spuken, geistern, poltern und überhaupt! So!“, sagte er noch und setzte sich auf die Bettkante.

„Kannst du auch Märchen erzählen?“, wollte das Kind wissen. „Ich weiß es nicht“, meinte Franz verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. „Wenn du mir sagst, wie man es macht, will ich es gerne versuchen.“

Jetzt musste das Kind lachen. So einen komischen Kerl hatte es noch nie gesehen. Es kannte auch niemanden, der durch ein Fenster zu Besuch kam – wie im Märchen – und dennoch nicht wusste, was Märchen sind. Das Kind wünschte sich sehr, dass Franz bei ihm bliebe.

„Weiß du was?“, sagte das Kind zu Franz „ich werde dir jetzt Märchen erzählen: das Märchen vom Rotkäppchen und das vom Schneewittchen und auch das von der Pechmarie. Und dann erzählst du mir welche. Ja?“

„Abgemacht“, sagte Franz begeistert „nachher erzähle ich dir das Märchen vom Rotkäppchen und das vom Schneewittchen und auch das von der Pechmarie. Ist es so richtig?“

„Nein“, erwiderte das Kind. „Du musst mir DEINE Märchen erzählen. Du denkst dir einfach etwas aus und das wird dann dein Märchen. Möchtest du unter meine Decke kommen?“

Franz kuschelte sich schnell unter die Decke. Er blieb dort die ganze Nacht und schlief am Tag im Kasten mit den Teddybären und der Puppe Erika. Und am Abend huschte er zum Kind ins Bett und erzählte ihm Märchen. Solange, bis es einschlief. Und wenn Franz gerade kein Märchen einfiel, ließ er sich vom Kind eines erzählen.

Nachmittags, als das Kind vom Kindergarten nach Hause kam, sah es immer zuerst im Spielzeugkasten nach. Franz war da. Er lächelte glücklich im Schlaf. Und am Abend, als das Kind zu Bett ging, huschte er schnell unter seine Decke.

Eines Tages baute das Kind aus Bausteinen ein richtiges Spuckschloss, damit es Franz auch tagsüber recht gemütlich hat.

„Was erzählst du den da?“ fragte eines Abends die Mutter als sie hereinkam um dem Kind einen Gutenachtkuss zu geben. „Ich unterhalte mich mit meinem Freund Franz!“ sagte das Kind stolz. „Ich dachte, dein Teddybär heißt Mischa“ wunderte sich die Mutter. „Ich rede nicht mit Mischa“, erklärte das Kind. „Mein Freund Franz ist auch kein Teddybär sondern ein Poltergeist und wir erzählen uns Märchen.“

„Poltergeist!“ sagte die Mutter und schüttelte den Kopf. „Es gibt keine Geister, Martin. Du träumst schon, noch bevor du richtig schläfst. Na dann – gute Nacht Herzchen.“
Die Mutter strich die Decke glatt und machte die Tür hinter sich leise zu.

„Träume ich dich, Franz?“ fragte das Kind besorgt. „Aber wo!“ sagte Franz rasch. „Weiß du, die Menschen können uns gar nicht sehen. Deshalb glauben sie auch nicht, dass es uns gibt. Nur für unsere Freunde können wir uns sichtbar machen. Und du bist mein ganz besonderer Freund.“

„Ich weiß nicht“ sagte Martin zweifelnd. „Ich habe gehört, dass die Gespenster gerade den bösen Menschen erscheinen. Sie erschrecken dann fürchterlich und fallen tot um. Oder sie stottern für immer und ewig.“

„Unsinn“, erwiderte Franz. „Das, was die bösen Menschen sehen, ist ihr eigenes schlechtes Gewissen. Die Feiglinge wiederum sehen nur ihre eigene Angst und glauben, es wären Geister. So ist es! Und heute bist du an der Reihe. Welches Märchen erzählst du mir heute?“

Und so sitzen die beiden in Martins Bettchen und erzählen sich Märchen. Nachtein, nachtaus.

Anmerkung:

Der Text dieser Geschichte wurde so niedergeschrieben, wie übernommen. Das Copyright liegt ganz alleine bei Nadia Meißnitzer und Irene Racek. 

Samstag, 22. Januar 2011

Urlaub 2007

Vergleich zu den Vergangenen verlief unser Urlaub heuer ungewöhnlich friedlich und dies obgleich die verbale Durchschlagskraft meiner besseren (zumindest seiner Meinung nach) Hälfte mit den Jahren in keiner Weise an „Biss“ verloren hatte, genaugenommen scheint mir der Kerl mit der Zeit immer bissiger zu werden. Das Vorspiel begann schon vor einigen Monaten als ich ihn löcherte, er müsse einen neuen Reisepass beantragen, da der alte in Kürze ablaufen wird. Er empfahl mir, mich um meine eigenen Sachen zu kümmern, wobei sein authentischer Kommentar zur Sache kaum widergabetaugliche Worte enthielt und öffentlich-rechtlich eher als eine Reihe von „pieps“ reproduzierbar wäre.

Als wir letztes Jahr den Sechziger feierten, luden wir zu der gemeinsamen Feier auch meinen gleichaltrigen Exgatten Yves ein, selbstverständlich samt seiner bereits seit langem bestehenden Gattin Nicole. Ich und Yves sind im vergangenen Jahrhundert etliche Jahre Brieffreunde gewesen, in weiterer Folge waren wir nur kurz verheiratet und während dieser Zeit langweilten und nervten wir einander. Nach erfolgter Scheidung wurden wir wieder gute Freunde. Kurz bevor wir unseren gemeinsamen „180ziger“ feierten, ging Yves in die Rente und somit konnten sich die beiden endlich ihren Lebenstraum erfüllten.

Sie verkauften ihr hübsch renoviertes Bauernhäuschen bei Chartres, lösten ihre Gemeindewohnung in Paris auf und übersiedelten ins südfranzösische Montady. Und sie bestanden darauf, dass wir sie ebendort zu besuchen. Wir planten unseren Besuch für heuer ein, für die letzte Septemberwoche. Sohn Martin spendierte uns als Weihnachtsgeschenk die Flugtickets nach Barcelona (und retour!), Sohn Philip buchte für uns das Mietauto, mit dem wir von Barcelona nach Südfrankreich (und retour!) reisen wollten. Ein tschechisches Sprichwort sagt, dass „der Fisch und der Gast nach dem dritten Tag stinken“, also wollte ich es tunlichst vermeiden unseren Freunden eine geschlagene Woche am Genick zu picken und schlug vor, die ersten zwei-drei Tage in Barcelona zu verbringen. Zu unserer Überraschung war nicht nur unser Hotel (von dem wir das letzte Mal hell begeistert waren) restlos ausgebucht, sondern sämtliche Hotels Barcelonas und dies schon zwei Monate im Voraus.

Just in der letzten Septemberwoche fand dort entweder eine Messe oder ein Kongress statt, so genau weiß ich es nicht da die Dame an der Rezeption genauso miserabel französisch sprach wie ich englisch. Daraufhin konsultierte ich das Internet. Von Barcelona bis Montady ist es „nur ein Katzensprung“, nicht einmal 300 Km. Auf der Landkarte entdeckte ich – fast auf der Strecke - Andorra. Nun ja, ein Abstecher von rund 100 km. Dieser Zwergstaat hat mich schon in meiner Kindheit fasziniert als ich hörte, dass die Bewohner dieses armen Landes vorwiegend vom Schmuggel lebten.

Die Vorstellung eines samt und sonders vermummten Volkes, dass auf den Zehenspitzen leise über die Pyrenäen schleicht, in jeder Hand eine altertümliche Pistole, mit verschlissenem Sack voll Schmuggelgut (was immer es auch sein mag) am Buckel, sich nur flüsternd hinter vorgehaltener Hand bzw. mit Geheimzeichen verständigt und stets verstohlen um sich blickt ... fand ich ungeheuer romantisch. Natürlich weiß ich längst, dass Armut nichts Romantisches an sich hat und Andorra, gottlob, bereits seit geraumer Zeit kein armes Land mehr ist. Doch allein an dem Klang von „Andorra“ pickte immer noch ein Hauch der Magie aus meiner Kindheit.

Im Internet fanden wir auf Anhieb ein günstiges Dreisternehotel, ein Doppelzimmer mit Frühstücksbuffet um 65 Euro und buchten übermütig zwei Nächte. Erst hinterher fragte mich mein Mann, was dort eigentlich zu besichtigen wäre. Also stieg ich erneut ins Internet und las zu meiner Verblüffung Folgendes: „Empfohlene Sehenswürdigkeiten (4): 1) Coll Arenys, Art der Attraktion: Berg, 2) Pic de l’Estanyo, Art der Attraktion: See, 3) Casa della Calle, Art der Attraktion: Regierungsgebäude, 4) Vall del Riu, Art der Attraktion: Tal.“ Na bumm! Bei der Größe des Fürstentums schätzte ich, dass man das volle Programm absolvieren könnte indem man sich einmal um die eigene Achse dreht. Hinterher kam ich allerdings drauf, dass ich Depp mich verschaut habe und statt dem Fürstentum Andorra nur dessen Hauptstadt, die Andorra La Vella heißt, angeklickt habe und auch diese mehr zu bieten hat, als auf der Homepage so lakonisch avisiert wurde.

Die Homepage handelte zwar die Sehenswürdigkeiten knapp ab, pries aber endlos das Fürstentum als wahres Einkaufs- und Touristenparadies an, was nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken sei, dass dort praktisch keine Steuern erhoben werden. Doch am ausführlichsten waren die „nützlichen und interessanten Insider-Informationen über alle Lebensbereiche“, gerichtet an potentielle Einwanderer um die Andorra auf ihrer Homepage so wortreich buhlt. Ich hätte mich beinahe überreden lassen, hätte ich nicht eine winzige Anmerkung gelesen, nämlich dass man die dortige Staatsbürgerschaft erst nach 25 Jahren Aufenthalt erwerben kann.

Bei meiner Lebenserwartung, die ich optimistisch besonders hoch einschätze, würde ich trotz meines Alters (das sich neuerdings in der großzügigen Verwendung von Anti- bzw. pro Age Kosmetik niederschlägt) zwar diese lange Wartezeit wegstecken, doch ein viertel Jahrhundert später werde ich mit dieser Extravaganz kaum mehr prahlen können. Ich nehme zwar an, dass meine Altersgenossen immer noch da sein werden, jedoch ein Teil davon wird zweifelsohne mit diversen Geriatrieworkshops und allerhand angesagten fernöstlichen Gesundheitsprogrammen total ausgebucht bzw. gestresst sein während sich der andere Teil, die ums Verrecken Jungbleibenwollenden, als fiktive knackige Twens in einer virtuellen Welt des Second Life tummeln wird.

Und die Jugend ist heutzutage ohnehin kaum zu beeindrucken. Andorra ist einer der Zwergstaaten Europas, hier Interessens halber eine kleine Übersicht:

Der Staat Vatikanstadt ist der wiedererstandene Rest des ehemaligen Kirchenstaates, diese absolute Monarchie wurde 1929 durch Lateralverträge zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Königreich Italien gegründet, der Chef ist – no naa – der Papst (0,44 km², 932 Einwohner, davon 552 Staatsbürger, Amtsprachen Latein, italienisch und deutsch).

Das Fürstentum Andorra ist ein feudales Überbleibsel, seit dem Jahr 1278 unabhängig und wird von Bischof von Urgell (Spanien) und dem jeweils amtierenden französischen Staatspräsidenten (in ihrer Funktion als Co-Fürsten) gemeinsam verwaltet. (468 km², 73.000 Einwohner, Amtsprache katalanisch)

Fürstentum Liechtenstein ist eine konstitutionelle Erbmonarchie (160,48 km², 34.905 Einwohner, Amtssprache deutsch bzw. das, was man dort fälschlicher Weise für Deutsch hält)

Republik San Marino ist die älteste Republik der Welt mit einer Geschichte, die bis auf das Jahr 301 zurückgeht, die Chefs (capitani reggenti) sind der Staatsoberhaupt und der Regierungschef (60,57 km², 30.308 Einwohner, Amtsprache italienisch)

Fürstentum Monaco ist wieder ein Stadtstaat mit konstitutioneller Erbmonarchie (1,97 km², 32.000 Einwohner, Amtsprache französisch)
Republik Malta ist ein Inselstaat, seit 1964 vom Vereinigten Königreich unabhängig, der Boss ist der Staatspräsident (316 km², 405.577 Einwohner, Amtssprache maltesisch, englisch)

Als letzten Zwerg Europas führt Wikipedia die Kanalinseln Guernsey, Jersey und Isle of Man an, die zwar weder ein Teil des Vereinigten Königreiches noch eine britische Kolonie jedoch zur Gänze im Besitz der Britischen Krone sind.

Die Färöer Inseln mit ihrer Fläche von 1.395,74 km² und 48.451 Einwohnern gelten nicht als Zwergstaat, da sie eine „gleichberechtigte Nation innerhalb des Königreiches Dänemark“ (wie auch Grönland) und daher nur halbautonom sind. Der Boss ist hier die dänische Königin. Immerhin können sie sich mit einem der ältesten Parlamente der Welt brüsten.

Eine andere Quelle bezeichnet auch das Großherzogtum Luxemburg als Zwergstaat, doch dieses Land kann da mit seinen 2.586 km² und 474.413 Einwohnern bestenfalls als Riesenzwerg (oder Zwergriese?) mithalten - auch wenn es, gleich nach Malta, das zweitkleinste Mitglied der EU ist.

Eine Woche vor der Abfahrt stellte mein Mann fest, dass mit dem Ansuchen um den neuen Reisepass das alte Dokument abzugeben sei, das Neue innerhalb von 5 Tagen zugestellt wird, diesmal allerdings mit Vorbehalt, da die Staatsdruckerei just jetzt zwei Tage „blau“ macht. Zwei Monate lang wollte er sich „rechtzeitig kümmern“ um sich dann im letzten Moment zu entscheiden, dass er dies gar nicht muss, da man in der EU sowieso mit einem abgelaufenen Pass oder einem Führerschein herumreisen darf. Etwa einen Monat zuvor machte ich ihn darauf aufmerksam, dass Andorra nicht in der EU ist, folglich ein gültiger Reisepass sehr wohl benötigt wird.

Jetzt meinte er, ich solle keinen Unsinn reden, Andorra muss schon aufgrund der geographischen Lage als Enklave zwischen Spanien und Frankreich automatisch in der EU sein. Ich zeigte ihm Schwarz auf Weiß, dass man genau dies nicht muss und auch nicht ist. Es folgte prompt seine Meinung über die Idioten in Andorra, ihre unsinnigen Gründe, das österreichische Passamt, die Staatsdruckerei und zur Sicherheit schloss er in seine flammende Rede auch mich ein. Ausführlich, niederschmetternd und vor allem sehr laut. Ich hatte weder Lust noch Chance klarzustellen, dass dieser Zwergstaat offensichtlich vom Tourismus der einkaufswilligen Nachbarn lebt, wobei man die Preise eben durch den Wegfall von Steuern attraktiv gestalten kann. Im Falle eines Beitritts hätte Andorra die Steuern einführen bzw. der Europäischen Union anpassen und somit auf die Haupteinnahmen verzichten müssen. Also nahm ich gelassen zur Kenntnis, dass nicht nur ich dämlich bin, sondern ganz Andorra, die österreichischen Behörden sowie auch gleich der Rest der Welt. Die logische Schlussfolgerung dieser (wenn auch einseitigen) Unterhaltung war, dass es auf der ganzen weiten Welt nur einen einzigen wirklich intelligenten Menschen gibt – und das ist ausgerechnet mein Mann. Und darauf bin ich natürlich mächtig stolz!

Der Reisepass wurde dennoch rechtzeitig ausgestellt, unser Schwiegersohn Chris brachte uns in aller Herrgottsfrühe zum Flughafen und Sohn Philip lotste vom Turm aus unseren Flieger fachmännisch in die Lüfte. Die Reise verlief angenehm, das Flugzeug war nicht vollgestopft und so hatten wir ausreichend Platz um etwaige Kollision unserer Breitseiten zu vermeiden. Auf dem Flughafen in Barcelona fanden wir mehr oder weniger problemlos das Mietauto und machten uns auf den Weg nach Andorra, wo wir nach einem relativ kurzen Herumkreisen unser Hotel erreichten. Ich hatte zwar eine detaillierte Wegbeschreibung aus dem Internet, der Haken an der Sache war, dass man die angegebenen Anhaltspunkte erst dann sehen konnte als man bereits vorbeigefahren war. Andorra la Vella ist regelrecht eingezwickt zwischen den Bergen (mein Mann schätzte die Breite der Talsohle auf kaum 300 m), die Straßen dementsprechend eng, meist Einbahnen und so findet man kaum Wendemöglichkeiten. Zum Glück mussten wir doch nicht erst nach Spanien oder Frankreich wieder ausreisen um dort wenden zu können wie ich vorerst befürchtete.

Das Hotel selbst war sehr angenehm und das Frühstücksbuffet ließ keine Wünsche offen, sogar der Frühstückskaffee war ein waschechter Kaffee und nicht die übliche Allerwelt-Frühstücksbrühe. Schon der erste Augenschein ergab, dass Andorras Homepage mit der Wahrheit äußerst freizügig umgeht. Die Preise sind alles andere als günstig, meist höher als in Österreich, zum Teil sogar ziemlich hoch. Das einzige Highlight sind die spottbilligen Zigaretten (aus heimischer Erzeugung). Ich kaufte mir keine, da es keine „king size“ gab. Genaugenommen kaufte ich so gut wie gar nichts - obwohl ich mich bereits vor der Abreise, fehlgeleitet durch die verlogene Homepage, auf einen richtigen Kaufrausch eingestellt und mich auch schon tierisch darauf gefreut hatte. Nicht nur, dass das Preisniveau nicht gerade kundenfreundlich ist, auch die Ladenöffnungszeiten sind zu viel knapp um, mit einem unverbesserlichen Optimismus allerdings, eventuellen Schnäppchen nachzujagen. Das vermeintliche Einkaufsparadies öffnet seine Türe und Tore von 10:30 bis 12:00 Uhr und dann erst wieder von 15:00 bis 19:00 Uhr.

Also hatschten wir im Kreis durch die malerische Hauptstadt, beäugten die stolzen Preise und die nicht minder stolzen Berge. Meinen Mann faszinierten die rundherum steil in den Himmel ragenden Bergwände, in die man Terrassen für den Häuserbau regelrecht eingefräst hatte wobei der ausgebrochene Stein gleich als Baumaterial verwendet wurde. Es war beeindruckend und irgendwie auch beängstigend. Ich habe gelesen, dass nur 2% der nicht bebauten Fläche Andorras für die Landwirtschaft genutzt werden können, bei der Größe und Beschaffenheit des Landes denke ich, dass mit der „landwirtschaftlichen Nutzung“ vor allem die Blumentöpfe der Bewohner gemeint sind. Und wir besuchten einen sehr kleinen Friedhof, das aus mehreren schmalen mehrstöckigen Häuschen (terrassenartig angeordnet), mit „Schubläden“ bestand – na klar: „einbuddeln“ dürfte in Andorra ein überaus mühsames und vor allem ein besonders kostspieliges Unterfangen sein.

Was sich nebenbei in der Luft recht unangenehm bemerkbar macht, da die Kanalisation nicht tief genug liegen dürfte. Gegenüber dem Friedhof war eine Bushaltestelle. Kaum wir uns hingestellt haben, kam auch schon der Bus. Nachdem ich mich mit dem Buschauffeur auf französische Sprache als Kommunikationsmittel geeinigt habe, fuhr er mich schroff an, dass wir kein Recht dazu hätten ihn anzuhalten, da er an dieser Stelle weder stehen kann noch darf. Ehe ich antworten konnte stieg eine Frau aus, mit einer internationalen Handbewegung negierte sie den gesunden Verstand des Fahrers und lud mich mit einer nicht minder verständlichen Geste zum Einsteigen ein.

Wir stiegen ein indes sich im Bus eine lebhafte Diskussion in Katalanisch entfachte, das Gespräch aber bald nach rückwärts abwanderte wo es im gedämpften Lachen und Gemurmel verhallte. Und der Fahrer setzte endlich seinen weder stehen könnenden noch dürfenden Bus in Bewegung. Mehr oder weniger. Der Straßenverkehr in Andorra la Vella ist von einem permanent drohenden Verkehrsinfarkt geprägt, fast an jeder der winzigen Kreuzungen „tänzeln“ Verkehrspolizisten mit Funkgeräten, bemüht das Übel in den Griff zu bekommen. Wenn man weiß, dass die öffentlichen Verkehrsmittel in Andorra gratis sind, ist es sehr verwunderlich, dass sich die Bevölkerung lieber auf eigener Achse dahinquält.

Wir machten einen Ausflug nach Ordino, ein verschlafenes Miniaturstädtchen, wo sich rein gar nichts abspielte, die Kirche war geschlossen und ein Straßencafé offen. Wir tranken einen ausgezeichneten Espresso, wollten das örtliche Museum besuchen, das aber geschlossen war und mein Mann fand schließlich ein Museum der Miniaturen, das immerhin offen hatte. Die Dauerausstellung von Arbeiten eines ukrainischen Künstlers war in der Tat beeindruckend.

Man konnte die Prachtstücke nur unter Mikroskop betrachten, wie z.B. eine Kamelkarawane samt Pyramide und Palmen im Nadelöhr, mit bloßem Auge war nur die Nadel zu sehen. Oder die Initialen des Künstlers, geritzt auf der Spitze eines menschlichen Haars, welches ohne Mikroskop kaum sichtbar war. In dem offenbar einzigen Souvenirladen ergatterte ich Postkarten aber keine Briefmarken, die gab es nur auf dem Postamt und das Postamt hatte zu. Die Briefe werden wahlweise durch die französische oder spanische Post befördert, also wollte ich die Postkarten am nächsten Tag aus Frankreich abschicken, vergaß darauf und brachte sie mit nach Wien.

Damit ich Andorra doch nicht mit leeren Händen verlasse, entschied ich mich im letzten Moment für ein Mitbringsel aus unserem Hotelzimmer. Selbstverständlich auf meine Art! Ein anständiger Mensch klaut im Hotel ein Handtuch oder zumindest einen Waschlappen, die versierten Reisenden lassen ein Duschtuch oder einen Bademantel (sofern bereitgestellt) mitgehen. ICH dagegen STEHLE NICHT! Also verhandelte ich mit der Rezeption, die wiederum mit der Hotelleitung per Telefon endlos rumdiskutierte, bis ich eine Stunde und 100 € später den einzigen Sessel aus unserem Zimmer ins Auto packen durfte. Und den Wachlappen klaute ich doch! Meine Familie und einige Freunde, denen ich darüber berichtete, nahmen meine neueste Extravaganz praktisch kommentarlos hin, der einzige, der den Kopf schüttelte, war mein Mann – als ihm endlich dämmerte, das wir das Trumm nicht nur nach Frankreich sondern von dort nach Barcelona und danach irgendwie bis nach Wien schaffen müssen.

Er sprach mir wieder einmal jeglichen Funken von Intelligenz ab, was mich nicht juckte – ich brauche ja nicht gescheit zu sein, ich habe doch IHN. Nicht desto trotz entwickelte ich flink Plan A (per Bahn nachschicken lassen), Plan B (als Reisegepäck mitnehmen) und sicherheitshalber auch Plan C (wenn alle Stricke reißen: Yves und Nicole im nächsten Frühjahr nach Wien einzuladen und sie gleichzeitig mit dem Möbeltransport zu beauftragen). Plan A verwarf ich, da die Beförderung per Bahn auf diese Entfernung relativ kostspielig wäre und das gute Stück möglicherweise nicht heil ankommen würde. Plan B klappte dagegen vorzüglich. In Frankreich kauften wir im Baumarkt eine quietschgrüne feste Komposttasche, stopften unsere schmutzige Wäsche rein, stellten darauf den Stuhl, den ich vorher mit Verpackungsplastik (das Zeug mit den Bläschen, die so herrlich platzen wenn man sie einzeln knackt) umwickelte, zwängten meine Reisetasche zwischen die Lehnen und schnürten das Ganze zusammen so, dass die Henkel der Komposttasche frei waren.

Für das Abwiegen des außerirdischen Reisegepäcks mussten allerdings unsere schlanken Freunde herhalten, da unser Gewicht samt Zuwaage die Skala der Badezimmerwaage krass überforderte. Immerhin blieb das Gebilde nach Abzug des Lebendgewichtes meines „Gatten a.D.“ unter 20 kg und trotz aller Unkenrufe meines amtierenden Gemahls (das Klumpert wäre zu breit für das Förderband am Flughafen und wird ohne bzw. samt uns in Barcelona stecken bleiben), wusste sich das Flughafenpersonal zu helfen und beförderte das quietschgrüne Ungetüm anstandslos und ohne Aufpreis bis nach Wien. Jetzt steht das unscheinbare Ding bescheiden in meinem Zimmer und meine Katze Mariedel freut sich ungemein über das neue Schlafplätzchen.

Der Grund, weshalb ich auf das gute Stück gar so scharf war, ist ganz prosaisch: es ist ein ungewöhnlich niedriger Lehnstuhl, der dennoch so breit ist, dass mein keineswegs normgerechter Hintern darin bequem Platz findet. Es ist eine stabile gute Handarbeit. Mit meinen 1m53 habe ich mit den normalen Sitzgelegenheiten so meine Probleme: wenn ich mich beim Sitzen nicht auf die Zehenspitzen stütze, klemme ich mir den Sitznerv ein und meine Füße schlafen ein.

Und nun folgt die Abhandlung über den französischen Teil unseres Urlaubs. Der Ordnung halber beginne ich mit einigen Daten aus dem Internet:

Gesamtfläche: 672.352 km², 64,102.140 Einwohner, jeweils samt Überseegebieten. Damit nimmt Frankreich bei der Bevölkerungszahl der EU den zweiten Platz ein, nach Deutschland. Die eigenständige Geschichte des Landes beginnt erst mit der Aufteilung des Reiches vom Karl des Großen (Charlemagne) unter dessen Enkel, was mit dem Vertrag von Verdun im Jahre 843 geschah. Im Laufe ihrer Geschichte hat sich die Grande Nation nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Andererseits fällt mir ad hoc nicht ein, welches Land dies tat – abgesehen natürlich von den jeweils im nachhinein mit viel Eifer und Phantasie selbstgestrickten ruhmreichen Vergangenheiten, mit denen sich jedes Volk gerne schmückt. Aber das ist natürlich eine andere Geschichte.

Yves und Nicole wohnen jetzt in einer relativ neuen Gartensiedlung am Rande von Montady, einem Städtchen mit rund 2.500 Einwohnern, das es nach sieben Jahren immer noch nicht geschafft hat, seine eigene Erweiterung zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn kartographisch zu erfassen. Das Internet ignorierte die angegebene Adresse und schlug mir immer wieder die Stadtmitte vor. Nachdem ich vor Ort ohne Erfolg herumfragte, landete ich schließlich im Rathaus, wo man mir statt Antwort eine Kopie des handgezeichneten Lageplans in die Hand drückte. Danach fanden wie die Adresse auf Anhieb und wurden wärmstens empfangen, wenn auch mit einiger Verspätung. Monsieur und Madame waren nicht zu Hause, eine Rücksprache per Handy ergab, dass Yves das Datum verwechselte und uns erst am nächsten Tag erwartete.

Die beiden stürmten gerade die Lebensmittelläden in Narbonne um beträchtliche Proviantvorräte für unseren bevorstehenden Besuch herbeizuschaffen. Wir nutzten deren Abwesenheit und fuhren nach Pezenas, ein malerisches Städtchen im Departement Hérault, das 300 vor Christi gegründet wurde und heute rund 7.600 Seelen zählt. Am Hauptplatz tranken wir in einem Straßencafé ein ausgezeichnetes Espresso. Wir haben Andorra vor 11 Uhr verlassen, mittlerweile wurde es spät nachmittags und die Speiselokale waren noch geschlossen. Und da begangen wir einen unverzeihlichen Frevel indem wir uns ausgerechnet beim allgegenwärtigen McDonald „Erste Hilfe“ holten.

Über unseren Besuch in Frankreich lässt sich eigentlich nicht besonders viel berichten. Wenn ich so zurückdenke, fraßen wir die meiste Zeit. Das Essen war – wie erwartet – vorzüglich und viel zu viel! Unsere Gastgeber haben ganz offensichtlich unsere Aufnahmekapazität nach unserem beeindruckenden Volumen berechnet, auch wenn sie es hinterher nicht zugeben wollten. Sie ließen sich nicht lumpen und kredenzten, nebst den verschiedensten Leckerbissen in Hülle und Fülle, auch Austern und Garnelen, Wir futterten was das Zeug hielt und verzichteten dabei auf schlechtes Gewissen. Das bekamen wir allerdings hinterher, als wir uns die Preise in den Läden angeschaut haben. Das allerteuerste in Südfrankreich ist Gemüse, Obst und Fische, nur die Austern sind im Vergleich mit Österreich relativ günstig.

Seit einiger Zeit spielten wir mit dem Gedanken, uns ein Häuschen in Südfrankreich zu kaufen. Unsere Kinder waren von dieser Idee natürlich hellbegeistert und malten sich aus, wie sie dann mit ihren Familien die Ferien mitten in dieser „Romantik pur“ verbringen werden. Auch unsere Freunde hätte man dazu nicht erst mühsam überreden müssen. Obwohl dieser Landstrich schon durch den Klang seines Namens Sehnsüchte weckt, vor Ort verdampft die Romantik im Wassermangel und was die sengende Hitze nicht schafft, bläst der heiße Wind davon. Natürlich gibt es dort jede Menge traumhafte Fleckchen, mit allem drum und dran was das Herz begehrt, allerdings jenseits einer – wenn auch tüchtig gefüllten - mittelständischen Geldbörse. Sowie in Castelnau de Guers, wo meine alte Schulfreundin glücklich mitten im sprichwörtlichen französischen Paradies residiert und es sich offensichtlich leisten kann, ihre paradiesische Zustände zu erhalten. Sie lud uns zum Mittagessen ein und wir verbrachten mit ihr, ihrem reizenden Mann und ihrer „Astralschwester“ (einer Französin, die am gleichen Tag geboren wurde) einen überaus reizvollen Nachmittag.

Obwohl unsere Freunde in der Vergangenheit eher selten auf die Butterseite gefallen sind, so konnten sie sich immerhin einiges zusammensparen, aber die Ersparnisse reichen heutzutage nur für eine, vom lieben Gott weniger bevorzugte Gegend aus. Vor ein paar Jährchen wurde Südfrankreich von Engländern und Schweden entdeckt, die sich mit ihrem Geld im eigenen Land verdammt schwer tun würden während sie hier tatsächlich wie Gott in Frankreich leben können. Es kam zu einem „run“ auf die Grundstücke, ein Umstand der die Preise gehörig in die Höhe trieb. Mein Mann studierte die Angebote der zahlreichen Immobilienbüros in der Gegend und wir kamen zu der Ansicht, dass wir eigentlich genau dort bestens aufgehoben sind wo wir ohnehin sind, nämlich in Wien. Und die reizvollste Seite Südfrankreichs können wir sowieso hin und wieder eine Septemberwoche lang bei unseren Freunden genießen.

So zum Beispiel einen Ausflug nach Béziers, einem weiteren wunderschönen Städtchen an der Via Domitia (der ersten römischen Straße im alten Gallien, die einst Italien mit Spanien verband) mit seiner 2.700 Jahre alten Geschichte, das im 8. bis 2. Jahrhundert vor Christi eines der wichtigsten Städte des keltischen Mittelmeerraumes gewesen ist. Überwältigend ist die Schleusentreppe von Fonserannes am Canal du Midi, die über 300 m lang ist und seinerzeit 21,5 m Höhe zu überwinden hatte. Die unterste Schleusenkammer ist heute nicht mehr im Betrieb, da der Canal du Midi bereits in der 7. Kammer abgezweigt wird und über eine Kanalbrücke den Fluss Orb überquert und so den Hafen von Béziers erreicht.

Es ist ein echtes Kuriosum, da diese Brücke nicht für den Verkehr bestimmt ist sondern einzig und allein als Wasserbett des Canal du Midi dient, dessen Wasser sie (buchstäblich im hohen Bogen) über den Fluss führt. Heute heben 6 Schleusenkammern die Schiffe um 13,6 m an. Im Jahr 1983 wurde (als Alternative zu der bestehenden Schleusentreppe) gleich daneben ein modernes Schiffshebewerk erbaut, das allerdings außer Betrieb ist. Laut Yves ist die Konstruktion nicht technisch ausgereift und hat angeblich nie funktioniert – ganz im Gegensatz zu der, aus dem 17. Jahrhundert stammender Schleusentreppe. Sowohl die Trassenführung des 241 km langen Canal du Midi als auch die damit verbundenen rund 350 technischen Bauwerke wurden von einem Beamten und Ingenieur aus Béziers namens Pierre-Paul Riquet geplant, der auch sämtliche hiezu erforderlichen Verträge aushandelte, die Bauarbeiten überwachte und das Monsterprojekt zum Teil selbst finanzierte.

Es ist umso erstaunlicher, da er seine diesbezüglichen Fähigkeiten im Selbststudium erworben hat! So ist in Béziers nebst dem Wunderwerk eines Autodidakten auch ein Denkmal der Überheblichkeit moderner Technik des 20. Jahrhundert zu besichtigen. Es sei noch gesagt, dass es Monsieur Riquets größter Wunsch gewesen ist, die Eröffnung seines Lebenswerkes zu erleben, was ihm leider versagt blieb. Um das Bauvorhaben voranzutreiben, steckte er in dieses Projekt sein ganzes Vermögen und stürzte sich obendrein in immense Schulden.

Er starb rund 7 Monate vor der Fertigstellung des Bauwerkes (das sein ältester Sohn zu Ende führte) und dessen feierlicher Eröffnung in Toulouse. Seine Nachkommen erbten einen riesigen Schuldenberg und brauchten viele Jahre um die Kredite abzustottern, die der Vater für den Kanalbau aufgenommen hatte. Da aber Riquet (und damit auch seine Erben) vom König das Privileg auf die Einnahmen aus dem Kanal erhielt, konnte die Familie Riquet letztendlich durch den Canal du Midi hohe Erträge lukrieren. So fand die Story doch ein Happyend, was in der Geschichte nur äußerst selten vorkommt.

Wir haben auch ein nahes Hütemuseum besucht. Der Besitzer hat im Laufe der Zeit mehrere Hundert Stück Kopfbedeckungen zusammengetragen und bemühte sich, diese einigermaßen thematisch zuzuordnen. Die Damenhütte hätte ich am liebsten alle einzeln probiert, man kann sie auch ausleihen. Auch wenn sie als Kopfschmuck für die gepflegte Dame kreiert wurden, mit entsprechendem Ernst natürlich, taugen die meisten Hüte wohl eher als narrengerechter Faschingsaufputz. Es gab auch unzählige Uniformkappen, die – obwohl authentisch und mit noch größerem Ernst erschaffen – nicht minder lachhaft aussahen.

Und natürlich konnte ich nicht an einem Friedhof vorbeigehen ohne reinzuschauen. Auf vielen Gräbern standen, einst als „kunstvolle Umrandung“ gedacht, zierlich geschmiedete Eisengitter, die im Laufe der Zeit zu hoffnungslosen Rosthaufen verkamen und heute an altmodische Bettgestelle bei einem Alteisentandler erinnern. An manchen dieser „Zieraten“ hingen alte Photos der teuren Verblichenen und kleine Täfelchen mit Widmung, manche gar mit den besten Wünschen „zum Geburtstag“. Als Aufputz lagen hie und da auf den Gräbern klobige Keramikblumen, meist riesenhafte Stiefmütterchen, wie es in Südfrankreich so üblich ist.

Die reichen Familien leisteten sich eine Familiengruft, steingewordene Albträume: überdimensionale schmucklose Klötze aus abbröckelndem Beton, grau in grau, auf dem „Kopfteil“ die Namen der in Ewigkeit Gefangenen eingemeißelt. Es sah nach Verdammnis aus. Just an diesen Familiengrüften entdeckte ich, dass hier einige ungewöhnlich alt - ja geradezu uralt - gewordene Menschen ihre letzte Ruhestätte fanden. Kann es sein, dass ihre Nachkommen die monströsen Betonklötze dort errichten ließen um zu verhindern, dass die Alten noch aus dem Grab herauskraxeln um ihnen post mortem die Erbschaft streitig zu machen?

An den Abenden saßen wir gemeinsam mit unseren Gastgebern vor dem Fernseher, es fand gerade die Weltmeisterschaft in Rugby statt. Ganz Frankreich pickte vor der Glotze, während man anderweitig (vor allem in Österreich und in Deutschland) von diesem Großereignis kaum Notiz nahm. Yves war in seiner Jugend „der Star“ des Rugbyclubs in St. Julien (eine kleine Stadt in Frankreich, nur wenige Kilometer von Genf entfernt), daher verbrachte ich so manches Wochenende, wenn auch recht unfreiwillig, auf dem Rugbyplatz und hinterher bei den Siegesfeiern in der Kneipe La Dilligence, wo Panaché (ein suspektes Gesöff aus Bier und Limonade) in Strömen floss.

Das Rugby wäre spurlos an mir vorbei gegangen, gäbe es nicht Yves und seinen schrägen Humor. Wir waren damals verheiratet, wohnten in Genf und arbeiteten in gleicher Firma. Es gab kein Spiel, bei dem der Kerl nicht verletzt wurde – mal hinkte er, mal trug er die Hand in einer Schleife und niemals fehlten die obligaten „Veilchen“ im Gesicht. Wenn wir uns dann in der Firma auf dem Gang trafen und ich etwas zu ihm sagte, schreckte er jedes Mal theatralisch zurück, hielt sich die „gesunde“ Hand schützend vors Gesicht und hauchte devot „oui Madame!“ Man schrieb seine Verletzungen meinem Temperament zu und hielt mich für einen Hausdrachen.

Yves lachte sich darüber krumm. Immer wieder. Rugby spielt er seit Jahren nicht mehr, seine zweifelhaften Späßchen treibt er immer noch und ist – gottlob – seit Ewigkeiten anderweitig verheiratet. So komme ich zum Glück nur äußerst selten in den Genuss seiner Scherze.

Die Rückreise verlief glatt, im Flieger standen uns wieder drei Sitze zur Verfügung. Unser Sohn Philip holte uns pünktlich ab und ich stellte wieder einmal mit Vergnügen und großer Genugtuung fest, dass Kinder (haben) nicht nur jede Menge Nachteile und allerhand Probleme bedeuten, sondern hin und wieder auch einen Vorteil mit sich bringen!

Alle Rechte liegen bei der Autorin.