Sonntag, 23. Januar 2011

Gesundheit - Werde ich nun alt oder was???

Das Jahr 2004 ist mir wirklich nicht gelungen. Ich hatte geradezu extravagante Gesundheitsprobleme und zu allem Überdruss haben im Laufe des Jahres drei verschiedene Ärzte meinen Gesundheitszustand „fachlich“ beurteilt mit: „Sie sind eben alt, also was wollen Sie noch eigentlich!?“ Es stimmte mich keineswegs nachdenklich, es brachte mich auf die Palme. Unwirsch wies ich jedes Mal darauf hin, dass ich eben gesund sein will und äußerte lautstark meine Verwunderung darüber, dass es den Ärzten nicht einleuchtet warum ich mich mit diesem Anliegen ausgerechnet an sie wende. Der Reihe nach hatte ich Flüssigkeit hinter dem Trommelfell, Riss in der Hornhaut am linken Auge und arge Verspannungen des Schulter-Nacken-Gürtels. Ich muss nicht explizit erwähnen, dass dies meine Lebensfreude – wenn auch vorübergehend – ziemlich eingedämmt hatte.

Die HNO-Ärztin diagnostizierte das Wasser hinter dem Trommelfell (mein Schädel drohte zu zerspringen jedes Mal, wenn ich gähnte, nieste, hustete oder mich schneuzen musste. Leider war dieses Malheur die Begleiterscheinung einer dramatischen Erkältung und zwar das volle Programm!), gab sich mit ihrer Feststellung zufrieden, merkte scherzhaft an, dass der Schnupfen mit Behandlung etwa 14 Tage lang dauert, ohne Behandlung dann rund 2 Wochen und fügte neckisch hinzu, ich hätte ohnehin genug Humor um dies ohne gröberen seelischen Schäden zu überstehen.

Die Augenärztin wollte mir nicht glauben, dass mir weder ein Splitter ins Auge geflogen war noch Metallspäne oder Ähnliches und bestand darauf, dass es - anhand der Größe der Hornhautverletzung – ein grober Arbeitsunfall gewesen sein musste. Als ich ihr sagte, dass mir bei meinem Beruf höchstens ein „i“ bzw. ein spitzes Rufzeichen ins Auge hätte geraten können, schüttelte sie nur den Kopf und lehnte jede weitere Unterredung mit mir ab. Zwei Tage später bekam ich per Post von der Krankenkasse einen Fragebogen, welches ich tunlichst auszufüllen und zurück zu senden hatte. Die Krankenkasse verlangte von mir die Auskunft über den Tathergang und wollte wissen, ob der vermeintliche Unfall in Trunkenheit, beim Raufhandel oder unter Drogeneinfluss zustande kam.

Das Auge tat verdammt weh und ich war besonders mies gelaunt, da mir die Augenärztin mit dem Augenverband gleich das halbe Gesicht zugeklebt hatte, also beschloss ich, meinen Unmut abzureagieren. Zu diesem Zweck suchte ich die Krankenkasse auf. Ich warf den Beamten lautstark vor, sie würden meine (übrigens nicht gerade unbedeutenden und auf jeden Fall unfreiwilligen) Beiträge unverantwortlich verschwenden für absolut sinnlose administrative Tätigkeiten mit ehrenrührigem Charakter und verlangte vehement eine verbindliche Auskunft darüber, wie die Krankenkasse mit den Geldern der Versicherten wirtschaftet. Nachdem ich mich redlich ausgetobt hatte, verließ ich die, vor Verlegenheit schwitzenden, Beamten mit einer deutlich besseren Laune.

Die letzten zwei Monate des Jahres waren überaus anstrengend, nicht zuletzt deshalb, da das Auftragsvolumen, das etwa seit April stetig anstieg (infolge einer nicht vorausgesehener und teilweise durch die Fachleute ignorierten bzw. abgestrittenen Konjunktur) gegen Jahresende geradezu eskalierte. Aufgrund meiner übersteigerten Arbeitsethik hat sich die Verspannung meiner Rückenmuskulatur in einen steifen Panzer verwandelt. Zu allem Unglück hat mein Boss eine gründliche Renovierung unseres Büros beschlossen und daher unsere Arbeitsstätte kurzerhand in eine Baustelle verwandelt, dies obwohl der übliche Endspurt gegen Jahresende bereits voll im Gange war. Na klar.

Ich landete samt meinem Schreibtisch und ganzen Bergen von Arbeitsunterlagen in einer Ecke des Chefbüros. Mein Buckel wurde nur noch schlimmer als ich mit dem, zwischen Schulter und Ohr eingeklemmten Telefonhörer, unterm Schreibtisch herumkrabbelte und versuchte aus den eingestürzten Haufen die benötigten Mäppchen herauszufischen. Um dem Übel entgegen zu wirken hetzte ich den ganzen Dezember Abend für Abend zur Physiotherapie. Und an dieser Stelle kann ich mit einer lustigen Geschichte aufwarten: die Tochter einer Bekannten aus Prag besuchte zu dieser Zeit irgendein Seminar an der Wiener Uni und brachte mir ein tschechisches Buch, von dem sie meinte, es könnte mir gefallen.

Das Buch hatte in der Tat einen durchaus interessanten Titel: “Das Handbuch für ungehorsame Weiber“. Ich versprach dem Mädel es schnell zu lesen und mein Urteil darüber abzugeben. Gleich nach den ersten Seiten stellte ich fest, dass mir das Buch missfällt. Es war nur bedingt witzig, die Autorin hat die wenigen guten Ideen buchstäblich erschlagen mit absolut unnötigem und fallweise ziemlich peinlichem Gequassel. Schade.

Dennoch: versprochen ist versprochen und so beschloss ich, das Buch bis zum bitteren Ende zu lesen um ein fundiertes Kommentar abgeben zu können. Allerdings wollte ich meine spärliche Freizeit nicht mit der Lektüre eines miserablen Machwerkes vertrödeln, so mühte ich mich redlich durch die Seiten während meiner Behandlungen im physikalischen Institut, da hier von einem entspannten Genießen so oder so keine Rede sein konnte. Eines Abends saß ich dort, gestützt an meine Ellbogen, vor mir das aufgeschlagene Buch, hinter mir Herr Oudney, ein rabenschwarzer Kerl aus Sambia, der meinen wehen Buckel gewissenhaft bearbeitete. Ich lese, Herr Oudney massiert, ich wende das Blatt und ein neues Kapitel kommt zum Vorschein, mit der Überschrift: DER PIMMEL. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass es Zufälle gibt, die gibt es gar nicht... Wenn es der Teufel will, hat der schwarze Bursche irgendwann in Prag studiert, perfekt tschechisch spricht, mir jetzt über die Schulter schaut und denkt, ich wäre eine lüsterne alte Schachtel. Blitzschnell drehte ich das Buch mit dem Rücken nach oben und prompt hörte ich den Kerl hinter mir im einwandfreien Tschechisch fragen: „na, und gibt es in Ihrem Buch auch brauchbare Ratschläge, Frau Meissnitzer?“

Herr Oudney hat nicht in Prag sondern an der technischen Universität in Brünn studiert und lebte dort gleich siebzehn Jahre lang! Wir plauderten nun miteinander tschechisch worauf sich der Nachbar aus der Nebenkoje, no naa - tschechisch, meldete „oh, Herr Oudney, ich hatte keine Ahnung, dass sie auch tschechisch sprechen!“ Es gibt also wirklich Zufälle, die gibt es gar nicht.... und die Welt ist ein Dorf!

Im folgenden Jahr steigerte sich mein Pech weiter. Am 3. Jänner marschierte ich einigermaßen erholt ins Büro. Am nächsten Tag schleppte ich mich bereits mühsam hin, gab aber am frühen Nachmittag auf, am Abend hatte ich schon hohes Fieber und eine ausgewachsene Grippe. Vermutlich habe ich mich am Neujahr von meinem Sohn angesteckt. Die Grippe war im Großen und Ganzen eine fade Sache: Fieber, Schüttelfrost, sämtliche Knochen taten mir weh (bei dieser Gelegenheit musste ich wieder einmal feststellen, dass ich unnötig viele Knochen im Leib habe!) – also eine hundsordinäre Grippe – doch extrem anhänglich.

Wir hielten es miteinander geschlagene 14 Tage aus, bis die Grippe zu meiner jungen Kollegin Gerli überwechselte. Sie rief mich am Sonntagabend an und fragte weinerlich nach, ob ich am Montag kommen könnte, da sie selbst soeben zu sterben gedenke. Am Montag pilgerte ich gutgelaunt ins Büro, wo mich ein absolutes Chaos und Lawinen von Papierkram erwarteten. Ich verbrachte den ganzen Tag mit Sortieren in: wichtig – noch wichtiger – verdammt wichtig – Katastrophe im Anmarsch - und ...... nicht mehr wichtig. Ich schuftete bis die Fetzen flogen denn ich musste selbstverständlich auch die „dahinsiechende“ Kollegin Gerli ersetzen.

Am Donnerstag war mein linkes Auge so rot wie beim Angorakarnickel, am Nachmittag mutierte es zu einem schmalen Schlitz, sodass mein Chef seine Hände rang und mich heim schicken wollte. Ich verharrte dennoch bis zum Abend, ich wollte die Heimfahrt beim Tageslicht und somit etwaige Polizeikontrolle vermeiden.

Abgesehen davon, dass auf meinem Trampelpfad abends kaum noch Verkehr herrscht. Ich dachte, ich hätte meine Grippe nicht restlos auskuriert und mir dadurch eine Bindehautentzündung zugezogen. Am Freitag war das Auge eine Spur besser und da freitags Frühschluss ist, fuhr ich zu Mittag heim und schnurstracks ins Bett. Am nächsten Tag, unterwegs zum Supermarkt, spürte ich plötzlich einen spitzen Stich im linken Auge und beide Augen begannen zu tränen. Ich erledigte meinen Einkauf innerhalb von 12 Minuten, das linke Auge brannte inzwischen teuflisch.

Den Gedanken, meinen Mann per Handy zu bitten mich abzuholen, verwarf ich als ich mir vorstellte wie der Sir geschlagene 5 Minuten brauchen würde um den Hintern und in weiterer Folge den Telefonhörer zu heben, 8 Minuten um sich an- und loszuziehen und weitere 5 Minuten bis er endlich eintrödelt. Ich beschloss heim-zufahren mit dem, dass ich sowieso innerhalb von 5 Minuten zu Hause sein werde. Die Karre ließ ich vor dem Haus stehen und stolperte blindlings zur Haustür, ich schlotterte bereits vor Schmerzen so stark, dass ich nicht mehr mit dem Schlüssel ins Schloss traf. Ich klopfte ans Fenster, mein Mann und mein Schwiegersohn öffneten die Tür. Ich klagte weinerlich über mein jähes Erblinden und mein Mann führte mich zum nächstbesten Fauteuil während unser Schwiegersohn den Notarzt anrief.

Kurz darauf kam Chris mit der tollen Empfehlung des Notarztes, man solle mich schnurstracks nach Lainz bringen. Für die Nichtwiener muss ich erläutern, dass das Krankenhaus Lainz ein großes Areal ist, in dem auch die Geriatrieabteilung untergebracht ist. Vor einigen Jahren sorgte just die Geriatrie Lainz für fette Schlagzeilen als dort plötzlich mehrere Patienten (sog. aussichtslose Fälle) „plötzlich“ verstarben. Wie die Untersuchungen schließlich ergaben, sorgte für die überstürzten Abgänge ins Jenseits das angeblich überforderte Pflegepersonal. Es war damals ein Riesenskandal und seither heißt dieses Krankenhaus offiziell nicht mehr Lainz sondern Hietzing. Als ich es hörte, jaulte ich prompt auf, dass es eine ausgezeichnete Idee sei, da Lainz – wie hinlänglich bekannt ist – eine einschlägige Praxis in Liquidierung alter Schabracken vorweisen kann. Chris stockte und erklärte mir, dass es keineswegs so gemeint war, Lainz wäre das nächstgelegene Krankenhaus, das über eine perfekt ausgestattete Augenambulanz verfügt.

Es war mir im Grunde piepegal wie es gemeint war. Ich zitterte vor Schmerzen wie Espenlaub und wünschte auf der Stelle entsorgt zu werden. Egal wie, Hauptsache sofort! Meine Tochter fuhr mich hin. In der Augenambulanz stellte man einen großen Riss in der Hornhaut fest, der Arzt schmierte mir allerlei Salben ins Auge, verband mir das halbe Gesicht und bestellte mich zur Kontrolle. Am folgenden Tag stellte sich heraus, dass ich zu allem Unglück von dem antiallergischen Pflaster einen Allergieausschlag bekam und das Epithel (die oberste Schicht der Hornhaut - bis zu diesem Tag ahnte ich nicht einmal, dass so etwas überhaupt existiert und jetzt kann ich es sogar lateinisch sagen!) ausgefranst ist. Bei dem Versuch das Epithel zu versäubern damit es wieder zusammenwachsen kann, löste sich wider Erwarten das komplette lateinische Zeug vom Auge. Der Arzt versorgte mich mit starken Schmerz- und Schlaftabletten und meinte, es wird teuflisch, aber wirklich teuflisch wehtun sobald die Anästhesie nachlässt.

Die Betäubung sollte etwa 45 Minuten anhalten und wir rasten heim damit ich noch die Wäsche waschen kann bevor die angekündigte Hölle loslegt. Tags darauf klagte ich dem Arzt, dass ich auf seine Anweisung die halbe Apotheke runterwürgte, ohne dass es geholfen hätte worauf er meinte, dass ich mich verdammt wundern täte, was ich ohne den Drogenkonsum erlebt hätte. Bis Mittwoch hätte ich glatt aus der Haut fahren können, sogar aus meinen fix eingebauten Fettpolstern. Der Gang zum Klo wurde zu einem Halbtagsausflug. Ich schob mich mit geschlossenen Augen, mit den Armen in der Luft herumfuchtelnd, den Teppichrand entlang - aus Angst das gesunde Auge offen zu halten damit sich das Lädierte nicht mitbewegt. Tage wie Nächte verbrachte ich abwechselnd im Fauteuil oder am Häusl wo ich jeweils mehrere Stunden lang den Mut für den nächsten Gang sammeln musste.

Trübsinnig überlegte ich, wen und was ich noch hätte verfluchen können, doch es fiel mir nichts brauchbares ein – Arafat verstarb mir, Bush ist zu zäh und im Übrigen habe ich letztes Jahr sowieso alles und jeden verflucht, was oder wer einigermaßen dazu taugten verflucht zu werden. Am liebsten hätte ich geheult wie ein Schlosshund, ließ es aber lieber bleiben, da ich mich davor fürchtete, was die salzigen Tränen in der offenen Wunde anrichten würden. Ich gab mich also mit einem simplen Schüttelfrost zufrieden und beschränkte meine verbalen Äußerungen auf gedämmtes „haaaaaaaa“ bzw. „iiiiiiiiiih“. Bei der Kontrolle am Mittwoch bekam ich einen neuen Verband in Form einer Kontaktlinse, bis zum Abend beruhigte sich das Auge. Ich ebenso. Die Tatsache, dass ich einen Schmarr’n sehen konnte war nunmehr eine Kleinigkeit. Die Iris war so gut wie verschwunden, die Pupille dagegen so riesig, dass es den Anschein hatte, ich wäre vollgepumpt mit Drogen.

Bis Ende der Woche war das Malheur vorbei, die Wunde hat sich geschlossen, ein funkelnagelneues Epithel nachgewachsen und die Iris nahm nach und nach zu, wie der Mond, jeden Tag ein Drittel Millimeter mehr. Montags darauf, es war mittlerweile der 31.01. – ging ich fröhlich ins Büro - genauer gesagt: ich hatte es zumindest vor. Ich verließ das Haus, sperrte hinter mir zu, machte drei Schritte und blieb stehen um den Hausschlüssel in der Handtasche zu verstauen. Ich machte die Tasche auf und fiel plötzlich seitlich um wie ein Mehlsack. Geschlagene zehn Minuten lag ich flach auf dem Boden und überlegte, ob ich doch nicht plärren sollte – jetzt wo ich mir den Luxus salziger Tränen endlich leisten könnte.

Doch dann verwarf ich diese verlockende Idee, es war bitterkalt, ein scharfer Nordwind wehte und die Gefahr, dass die angefrorenen Tränenflüsse meine zarte Pfirsichhaut beschädigen würden, war einfach zu groß. Allerdings konnte ich nicht mehr aufstehen. Ich kroch auf drei Extremitäten zum Wagen und fuhr zur Werkstätte um den Servicetermin wahrzunehmen. Von dort fuhr mich der Automechaniker Wolfi in mein nahegelegenes Büro. Ich hantelte mich zu meinem Schreibtisch, begleitet von Anteilnahme der ganzen Firma und den obligaten Fragen „um Gotteschristiwillen, was machen Sie denn?“ und verblüffenden Feststellungen „gütiger Gott, Sie machen aber Sachen!“

Ich posaunte herum, dass ich auf einer Eisplatte ausgerutscht bin um nicht den Anschein zu erwecken, ich wäre schon dermaßen vergreist, dass ich nicht einmal mehr auf eigenen Füßen stehen kann. Am Nachmittag wurden die Schmerzen zu heftig, daher rief ich meinen Mann an mit der Bitte, mich im Büro abzuholen und ins Unfallkrankenhaus zu verfrachten. Der diensthabende Arzt urteilte prompt: die Ursache wäre primär altersbedingt, also eine klassische Abnützung. Ich verbat mir diese Anschuldigung mit allem Nachruck.

Der Herr Doktor ließ ein Röntgenbild machen und entschuldigte sich hinterher mit der Feststellung, dass mein Knie innen jugendlicher aussieht als angenommen – ja jugendlicher sogar, als es in meinem Alter angebracht wäre. Was ich da wirklich habe wisse er allerdings nicht. Ich bekam Salben, Schmerzmittel, elastischen Verband und Krücken. Er meinte noch, wenn es sich bis Ende der Woche wieder „geben sollte“, dann wäre es vermutlich eine Prellung oder eine überdehnte Sehne. Widrigenfalls könnte es ein Riss im Meniskus sein und in diesem Fall müsste eine Tomografie gemacht werden, da man dies auf einem Röntgenbild nicht sehen kann.

Mit den Krücken tobte ich mich zwei Tage lang aus - bis ich sie im hohen Bogen in die Ecke warf. Dieses Behelf war lebensgefährlich. Mit solchem Gerät dürfte man eigentlich nicht ohne Waffenschein oder zumindest einer Art von Führerschein hantieren dürfen! Ich gefährdete meine Umgebung im Umkreis von 2 Metern und meine Befürchtung, ich würde mir damit auch die übrigen Extremitäten brechen, war durchaus begründet. Man möge sich nur vorstellen, was Mister Bean mit Krücken aufführen würde. Ich war unvergleichlich besser!

In weiterer Folge bewegte mich durch die Welt in einem 90° Winkel, angelehnt an alle erreichbaren Wände, die Treppe fuhr arschlinks hinunter und kroch auf Händen und einem Fuß wieder hinauf. Dann erinnerte ich mich an die Schulphysik und erarbeitete mir einen machbaren Fortbewegungsmodus - mittels Schaukeln + Vorfall. Es funktionierte recht gut und meine Mitmenschen schüttelten sich vor Lachen. Ein Gehsteigrand war mit dieser Methode allerdings nicht zu erklimmen. Ich wackelte tapfer zur Apotheke um mir die nächste Ration von Salben und Tabletten zu besorgen und scheiterte kläglich an diesem unerwarteten Hindernis.

Der von mir angesprochene junge Mann „lieber Herr, würden Sie mir bitte kurz Ihre Hand reichen?“ half mir zwar ohne mit der Wimper zu zucken, dachte aber offensichtlich ich wäre geistesgestört - er eilte davon ohne meinen Dank geschweige denn eine plausible Erklärung abzuwarten. Schließlich fiel mir ein magischer Spruch ein, den mir einmal meine Freundin Dagmar verriet. Nach einer missglückten Knieoperation wurde sie schon vor Jahrzehnten zum Krüppel, sie geht am Stock, manchmal mit Krücken und ab und zu auch gar nicht. Sie sagte mir, wenn die Not am höchsten ist, droht sie: „Beinchen, Beinchen, tragt mich – oder ich scheiß’ euch an!“ Und die Beinchen - wohlwissend, dass diese Drohung auch für einen Krüppel leicht in die Tat umzusetzen wäre - nehmen ohne weitere Mätzchen wieder ihren Dienst auf.

Mein Beinchen ließ sich erstaunlicher Weise ebenfalls „überreden“ – wenn auch mit Vorbehalt. Nach zehn Tagen konnte ich wieder auf diesem Bein stehen, meistens. Dann kam ich darauf, dass mich die Krankenkasse die ganze Zeit im Krankenstand wähnte. Man behauptete, dass ich in diesem Zustand partout nicht arbeitsfähig sein konnte, da ich keinesfalls ins Büro hätte gehen können. Ich gab den Beamten Recht und präzisierte, dass ich eben nicht hinGING sondern hinWACKELTE.

Daraufhin bezweifelte man ernsthaft meinen gesunden Verstand. Ich wies darauf hin, dass ich ein Problem mit meinem Knie hatte, nicht mit meinem Verstand, um den es hingegen bestens bestellt sei und dieser - zumindest für den Haus- und Bürogebrauch - völlig ausreichend wäre.

ANMERKUNG: Das Copyright liegt ganz alleine bei der Autorin.

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