Freitag, 11. Februar 2011

Meine Wiener Geschichte

In meinen Wiener Anfängen wohnte ich eine zeitlang zu Untermiete in einem möblierten Zimmer. Meine Wirtin, Frau Henisch, entstammte einer altösterreichischen Offiziersfamilie und sprach sogar noch recht passabel tschechisch. Mein damaliger deutscher Wortschatz beschränkte sich dagegen auf „Guten Tag“ und „das ist zum Kotzen“ (aufgeschnappt aus einem tschechischen Kriegsfilm, in dem sich ein widerstandskämpfender deutscher Genosse konsequent fluchend durch die Handlung ekelte). Die alte Dame hatte meine „unwegsame“ Muttersprache als Kind gelernt, von ihrem Kindermädchen und von der (selbstverständlich böhmischen) Köchin. Wer nämlich in der alten Monarchie auf sich hielt, der MUSSTE eine echte böhmische Köchin haben. Heutzutage gibt es nunmehr wenige wirklich noble  Familien – und vor allem gibt es keine böhmischen Köchinnen mehr. Vor einigen Jahren bewunderte (und beneidete) eine Professorin an der Handelsakademie meinen vornehmen Lebensstil als sie von unserer Tochter erfuhr, dass wir uns immer noch den schieren Luxus einer böhmischen Köchin leisten – ganz wie zu Zeiten weiland Seiner Majestät. Mein Früchtchen Karolin’ hatte „ganz vergessen“ zu erwähnen, dass die famose böhmische Köchin ihre eigene Mutter sei.

Der Sohn von Frau Henisch, ein anerkannter österreichischer  Bildhauer, hatte einen Lehrstuhl an der Frankfurter Universität inne und die alte Dame fühlte sich in ihrer großen Wohnung sehr einsam.  Deshalb vermietete sie zwei Zimmer an allein stehende Frauen. Das eine Zimmer bewohnte ich, das andere eine gebleichte, etwas ordinär aussehende Blondine in den Vierzigern.  Ich war damals 22 Jahre jung und mit meinen 46 kg, bei einer Lebensgröße von 153 cm, war ich schlicht gesagt - eine Miniatur.  Die Blondine dagegen war ein gestandenes Weibsbild, ein Meter achtzig groß, mit einem imposant prallen Busen. Mein Gehalt reichte zu jener Zeit aus um die Miete zu bezahlen und es blieben mir noch etwa 500 Schilling übrig. Dämlich wie ich war, verließ ich Prag Hals über Kopf nur mit dem Gewand, das ich gerade am Leibe trug, dafür aber mit einer Reisetasche vollgepackt mit Dingen, die ein junger Mensch unbedingt zum Leben braucht (z.B. ein dickes Buch über Francois Villon, ein noch dickeres Band Komödien von Goldoni, Ansichten des  Monsieur Sartre, Lebenslauf von Leonardo da Vinci in zwei Bändern ....). Ich war  jung, fröhlich und ärmer als die Kirchenmaus, trank heißes Wasser aus der Wasserleitung um wenigstes etwas warmes in den Magen zu bekommen und ernährte mich von halben Jausen, die sich ein junger Arbeitskollege von dem Mund absparte (er merkte als einziger, dass ich nichts zum Essen habe). 


Copyright Nadia Meißnitzer


Diese Blondine,  Strasser hieß sie, kam eines Tages zu mir und brachte mir hübsche Unterwäsche. Mit Händen und Füßen versuchte sie mir verständlich zu machen, dass sie diese Wäsche im Abverkauf erstand, leider passen ihr die guten Stücke nicht und sie könne es auch nicht mehr umtauschen. Zum besseren Verständnis führte sie mir eine kleine Pantomime vor indem sie  die Hände rang und die Augen zur Decke verdrehte, deutete auf den Kassenbon auf dem ein großer roter Stempel aufgedruckt war, schüttelte verneinend den Kopf, tat als ob sie die Wäsche nun in den Mistkübel werfen würde, drückte es mir anschließend in die Hand und machte Bitte-Bitte - bis ich endlich begriff, dass sie sich beim Kauf fatal vergriffen hatte. Es ging mir aber nicht ein, dass diese Walküre so borniert wäre, eine Kleidergröße 36 zu kaufen wo sie mindestens 48 hätte haben müssen. Sie tat mir richtig leid, also nahm ich die guten Stücke dankend entgegen denn es wäre wirklich Schade sie wegzuwerfen. Frau Strasser bedankte sich überschwänglich – und kaufte weiterhin kopflos ein. Auf dieser Weise kam ich bald zu einer ansehnlichen Garderobe und lernte neue deutsche Wörter: „Abverkauf – kein Umtausch!“ Ich bot mich einige Male an, sie beim Einkaufen zu beraten, aber es klappte  niemals, da sie just nur  dann Zeit hatte wenn ich arbeiten war. Einmal in der Woche klopfte sie an meiner Zimmertür, weinend, die Schminke über das ganze Gesicht verschmiert. Sie hatte groß aufgekocht und ihr Freund ließ sie wieder einmal sitzen. Ich hatte Mitleid und leistete ihr bei Tisch Gesellschaft, regelmäßig, Woche für Woche. Ehrlich gesagt: dank Frau Strasser habe ich mich damals  wenigstens einmal in der Woche ordentlich satt essen können. Sie kochte wirklich ausgezeichnet. Mit meinem spärlichen Wortschatz versuchte ich ihr klarzumachen, dass sie dem Armleuchter den Laufpass geben sollte, aber sie schniefte nur, schaute mir beim Schlemmen zu und sagte immer wieder „Ach Fräulein, sie sind so lieb zu mir“.

Eines Tages zerstritt ich mich mit der Zimmerwirtin (ich war etwas hochnäsig und fühlte mich wegen einer Lappalie todbeleidigt), packte meine sieben Sachen und zog auf der Stelle aus.  Ein Jahr später ging ich in die Schweiz, drei Jahre darauf heiratete ich, kehrte nach Wien zurück und unsere Tochter Karolin’ kam zur Welt (erstaunlicherweise klappte es in dieser Reihenfolge, obwohl es bis zum letzten Moment nicht ganz klar war, was zuerst kommt und was danach). Wir mieteten uns eine Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk und da fiel mir ein, dass Frau Henisch ganz in der Nähe wohnen müsse. Sie lebte noch, ich rief sie an und sie lud mich zur Jause ein. Sie bewunderte mein Baby, wir plauderten über alles Mögliche und auf einmal fragte sie mich: „kannst du dich noch an die Frau Strasser erinnern?“  Meine Güte, wie hätte ich diese dumme Pute jemals vergessen können! Bei ihrer erstaunlichen Treffsicherheit, stets die falsche Kleidungsgröße zu erwischen, war es ein Wunder, dass sie nicht im Zeitungspapier eingewickelt herumging. Außerdem gehörte auch einiges an Blauäugigkeit dazu um Woche für Woche Leckerbissen zu kochen für irgendeinen Trampel, der sich kein einziges Mal blicken ließ.  Ich sagte es Frau Henisch und sie erzählte mir, dass sie vor einiger Zeit in der Volksoper gewesen ist (die Strasser wohnte längst nicht mehr bei ihr) und nach der Vorstellung auf dem Gehsteig auf ihren Sohn wartete, der sie mit dem Wagen abholen sollte. Auf einmal klopfte ihr jemand von hinten auf die Schulter. Sie drehte sich um und sah die Strasser vor sich. Frau Henisch grüßte sie und fragte höflich, wie ihr die Operette gefallen hat. Die Strasser bekam einen mittleren Lachkrampf und erklärte, dass sie keineswegs in der Oper war sondern gleich um die Ecke ihren Rayon hätte,  wo sie „das Pflaster tritt“ und auf Kundschaft wartet. Die Frau Strasser war eben eine waschechte Straßendirne.  Sie plauderten ein Weilchen darüber, was es neues gibt, wie „das Geschäft“ so läuft und plötzlich fragte Frau Strasser, ob Frau Henisch wisse, was aus dem vornehmen Fräulein geworden ist, dass vor Jahren bei ihr gewohnt hat. Frau Strasser erinnerte sich, wie arm das feine Fräulein gewesen ist, nichts anzuziehen und auch nichts zum essen hatte es, und so musste sie sich um das arme Ding kümmern, damit das Fräulein nicht so sehr leiden müsse. Sie war besonders stolz darauf, damals eine Möglichkeit gefunden zu haben um das Mädel anzuziehen und zu füttern - ohne es zu kränken. Solche jungen Damen aus guten Familien würden doch keine Geschenke von Fremden annehmen, geschweige denn von einer alten Hure!

Als ich diese Geschichte hörte, fuhren wir mit meinem Mann jene Gegend einige Male auf und ab (ich wollte mich nachträglich bedanken), aber ich traf Frau Strasser nie wieder. Entweder habe ich sie in ihrem „Arbeitsoutfit“ nicht erkannt oder aber sie hat sich mittlerweile zur Ruhe gesetzt.

Ein Nachsatz: als ich in Zürich lebte, wohnte ich u.a. in der Dufourstrasse wo direkt vor meinem Haus die Schönen der Nacht ihren Standplatz hatten. Ich pflegte damals bei den Damen Nowak Canasta zu spielen und kehrte hin und wieder sehr spät in der Nacht heim. Im Winter brachte ich den Mädchen heißen Tee in der Thermosflasche hinunter, im Sommer gekühlte Limonade. Während sie tranken, unterhielten sie mich mit Geschichten aus ihrem Metier. Es waren durch die Bank sehr hübsche und gebildete Mädels.

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